Was steckt hinter einem faktischen Geschäftsführer?

GmbH-Geschäftsführer ist nicht gleich GmbH-Geschäftsführer: Es kursieren die Begriffe „Gesellschafter-Geschäftsführer“, „Fremdgeschäftsführer“, „gesellschaftsrechtlicher“, „unternehmensrechtlicher“ sowie „handelsrechtlicher Geschäftsführer“, „gewerberechtlicher Geschäftsführer“, „De-facto-Geschäftsführer“, faktischer Geschäftsführer sowie Pro-forma-Geschäftsführer. Die beiden letzteren Begriffe sind Inhalt dieses Beitrages der „GmbH-Ecke“.

Der faktische Geschäftsführer war bis zu seiner Schaffung in § 9a BAO durch das Abgabenänderungsgesetz 2012, BGBl I 2012/112 ab 1. Jänner 2013 gesetzlich nicht geregelt, hat jedoch im Zusammenhang mit der Frage der deliktischen Haftung für seine Handlungen und (vor allem) Unterlassungen große praktische Bedeutung in der Rechtsprechung erlangt (vgl. hierzu etwa OGH 15.9.2010, 2 Ob 238/09b = SZ 2010/110 = ecolex 2010/435 = AnwBl 2011/02, 60 = GeS 2010, 271).

Begriff. Faktischer Geschäftsführer ist eine physische Person, die das gesellschaftliche Unternehmen tatsächlich leitet und führt, ohne in formaler Hinsicht wirksam zum (schlussendlich) im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer bestellt worden zu sein. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der faktische Geschäftsführer gleichzeitig auch (Allein- bzw Mehrheits-)Gesellschafter ist oder nicht; wesentlich ist vielmehr, dass der formell bestellte und im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführer entweder „nichts mehr zu sagen hat“ oder „überhaupt nie etwas sagen durfte“.

Für die Qualifikation als faktischer Geschäftsführer muss der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen haben. Eine faktische Geschäftsführung liegt hingegen nicht vor, wenn ein (Allein-)Gesellschafter lediglich (wenn auch häufig) von seinem Informations- und Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung Gebrauch macht.

Kriterien für die Qualifikation als faktischer Geschäftsführer

  • Die formell bestellten Geschäftsführer
    • üben selbst keinerlei Geschäftstätigkeit aus;
    • sind lediglich „Strohleute“ und haben faktisch keinerlei Entscheidungsbefugnis oder beugen sich regelmäßig den Anordnungen des faktischen Geschäftsführers.
  • Der faktische Geschäftsführer
    • nimmt auch im Außenverhältnis laufend die gesetzlich der Geschäftsführung vorbehaltenen Aufgaben wahr;
    • ist allein Entscheidungsträger der GmbH und trifft alle Entscheidungen völlig selbständig.
  • Die formell bestellten Geschäftsführer befolgen Weisungen des faktischen Geschäftsführers.

Beispiele:

  • Auf Anordnung des faktischen Geschäftsführers stellen die formell bestellten Geschäftsführer (pflichtwidrig) keinen Insolvenzantrag.
  • Angesichts ungenügender finanzieller Mittel der GmbH legt der faktische Geschäftsführer fest, welche Zahlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt an bestimmte Gläubiger zu leisten sind.

Einen faktischen Geschäftsführer treffen grundsätzlich die gleichen Pflichten wie einem formell bestellten Geschäftsführer. Wenn also ein Gesellschafter (oder in selteneren Fällen ein Dritter) seine Einflussmöglichkeiten in der Weise nutzt,

  • dass er die Geschäftsführung der GmbH an sich zieht, insbesondere laufend und intensiv durch Weisungen eingreift,
  • so hat er auch die Sorgfaltspflichten eines Geschäftsführers zu beachten und entsprechend den Maßstäben des § 25 für deren Verletzung einzustehen (OGH 12.4.2001, 8 ObA 98/00w = RdW 2001/505, 469 = ecolex 2003, 447 = RdA 2001, 450 = SZ 64/65; OGH 19.12.2002, 2 Ob 308/02m = RdW 2003/219, 268 = GBU 2003/05/03).

Ein faktischer Geschäftsführer könnte allenfalls auch (zumindest als Beitragstäter) strafrechtlich haftbar gemacht werden.

Die Formel lautet daher: wer sich das Recht nimmt, die Geschäftsführung ohne Rechtsgrundlage auszuüben, der hat auch die Pflicht, dies sorgfältig zu tun. Kommt er dieser Sorgfaltspflicht nicht nach, so haftet er nach jenen Maßstäben, wie sie für wirksam bestellte Geschäftsführer bestehen.

Der geradezu klassische Fall eines faktischen Geschäftsführers stellt sich zumeist wie folgt dar:

  • Der im Firmenbuch eingetragene Geschäftsführer ist sich seiner Rolle als Strohmann bewusst und übt seine Organfunktion (zumindest überwiegend) nicht aus. Er hat keine Entscheidungsbefugnis und / oder beugt sich regelmäßig den Anordnungen des faktischen Geschäftsführers.
  • An Stelle des im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers leitet eine andere Person (in den meisten Fällen der Mehrheits- oder Alleingesellschafter) die Gesellschaft tatsächlich. Er ist alleiniger Machthaber der GmbH und trifft alle Entscheidungen (im Wesentlichen) völlig selbständig.
  • Er setzt ein Verhalten, welches aus der Sicht eines redlichen Dritten nicht von dem einen im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers unterschieden werden kann; insbesondere nimmt er auch im Außenverhältnis laufend die diesem gesetzlich vorbehaltenen Aufgaben wahr.

Man soll aber auch die Kirche im Dorf lassen: Der Alleingesellschafter, der gegenüber seiner Fremdgeschäftsführung vielfach Weisungen erteilt, die allenfalls in das operative Tagesgeschäft hineinreichen, wird dadurch nicht zum faktischen Geschäftsführer.

Indizien, die für eine faktische Geschäftsführung sprechen sind insbesondere

  • Der bestellte Geschäftsführer trifft in allen wesentlichen geschäftlichen Belangen keine eigenständigen Entscheidungen, sondern hat sich nach den Weisungen des Mehrheits-/Alleingesellschafters zu richten.
  • Wichtige Geschäftsbriefe werden nach den Vorgaben des Mehrheits-/Alleingesellschafters verfasst.
  • Die Durchführung von Überweisungen bedarf der Genehmigung des faktischen Geschäftsführers.
  • Zahlungen erfolgten teilweise auch ohne Wissen und Einverständnis des bestellten Geschäftsführers.
  • Der Mehrheits-/Alleingesellschafter tritt gegenüber Geschäftspartnern als Geschäftsführer auf. Er unterzeichnet die von ihm für die Gesellschaft verhandelten Verträge mit einem auf seine Geschäftsführungsbefugnis hinweisenden Zusatz.
  • Der faktische Geschäftsführer führt das Bankkonto.

Unabhängig davon, ob ein faktischer Geschäftsführer Gesellschafter ist oder nicht,  kommt ihm keine organschaftliche Vertretungsbefugnis der GmbH im rechtsgeschäftlichen Verkehr zu. Denkbar ist jedoch eine Vertretungsmacht durch rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung oder durch Rechtsscheinvollmacht; eine schlüssige Vollmachterteilung  ist möglich (OGH 15.09.2010, 2 Ob 238/09b = GES 2010, 271).

Begnügt sich etwa der bestellte Geschäftsführer von vornherein mit der Rolle eines Strohmannes, der die Vertretung der Gesellschaft im geschäftlichen Verkehr für den jeweiligen Dritten erkennbar allein dem faktischen Geschäftsführer überlässt, kann von einer schlüssigen Vollmachtkundgabe (Wissenserklärung, dass ausdrücklich oder schlüssig Vollmacht erteilt wurde) ausgegangen werden. Zu prüfen ist in einem solchen Fall „nur“ mehr der Vollmachtumfang.

Die sich als faktischer Geschäftsführer betätigende Person, verspricht sich irgendeinen Vorteil aus ihrem Tun. Motive für eine faktische Geschäftsführung können sein:

  • die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension bei gleichzeitigem weitermachen wie bisher;
  • das Vermeiden einer weiteren Pflichtversicherung bei Vorliegen der gesetzlichen Alterspension;
  • man möchte nicht im Firmenbuch „gefunden“ werden;
  • ein Privatkonkurs, dessen Abschöpfungsverfahren noch nicht beendet ist;
  • ein nachteiliger Leumund;
  • das nicht los lassen können eines ehemaligen (Einzel-)Unternehmers (z. B. Vater/Mutter des im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers).

Wo es Vorteile gibt („Licht“), gibt es auch Schatten. Dieser ist den faktischen Geschäftsführern entweder nicht bekannt oder bewusst: Ein faktischer Geschäftsführer haftet im Hinblick auf den gesetzliche geschuldeten Pflichtenkreis des Vertretungsorgans einer GmbH wie ein im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer.

Das bedeutet:

  • der faktische Geschäftsführer hat im Falle einer Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gegenüber dem im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer auf die rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrages hinzuwirken; tut er das nicht, haftet er wegen Insolvenzverschleppung neben dem im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer solidarisch (OGH 17.12.2007, 8 Ob 124/07d = SZ 2007/200 = ecolex 2008/159, 439).
  • Mangels organschaftlicher Vertretungsbefugnis ist der faktische Geschäftsführer zwar nicht zur Insolvenzantragstellung berechtigt; in den meisten Fällen hätte er jedoch die auf Grund der tatsächlichen Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft die Möglichkeit, kurzfristig seine Bestellung zum (weiteren) Geschäftsführer durchzusetzen.

Der Kurzüberblick zeigt, dass sich die Gesellschaft einen faktischen Geschäftsführer und der Mehrheits-/Alleingeschäftsführer die faktische Geschäftsführung besser (er)sparen sollte. Wenn dies nicht ganz ohne Reibereien abgeht: Ein faktischer Geschäftsführer ist vor dem allgemeinen Gericht und nicht vor dem Handelsgericht zu verklagen (OGH 14.09.2011, 6 Ob 202/11s = GES 2012, 80).

Der Pro-forma-Geschäftsführer ist das für das Wirken eines faktischen Geschäftsführers notwendiges Pendant. Es handelt sich um eine physische Person, die

  • durch die Generalversammlung oder (seltener) kraft Gesellschaftsvertrag zum Geschäftsführer bestellt wurde;
  • die Bestellung angenommen hat;
  • im Firmenbuch als Geschäftsführer eingetragen ist;
  • sich bereit erklärt hat, nur formell als Mitglied des Vertretungsorgans der GmbH tätig zu sein und damit keinen Einfluss auf die tatsächliche Geschäftsführung nehmen zu wollen.

Damit ist eigentlich (fast) alles gesagt. In haftungsrechtlicher Hinsicht kann sich ein Pro-forma-Geschäftsführer nicht darauf berufen, bestimmte Handlungen nicht gesetzt oder Unterlassungen nicht verantwortet zu haben. Diese Argumentation entspricht zwar den Tatsachen; sie befreit jedoch nicht von der Verantwortung hinsichtlich der als (gesellschaftsrechtlicher) Geschäftsführer übernommenen gesetzlichen Verpflichtungen.

Ein faktischer Geschäftsführer haftet neben dem im Firmenbuch eingetragenen zur ungeteilten Hand; dies wird allerdings für einen zur persönlichen Haftung – etwa durch einen Haftungsbescheid des Fiskus – herangezogenen Pro-forma-Geschäftsführer gewiss nur ein geringer Trost sein …

Weiterführend zum Thema:

Christian Fritz, Wie führe ich eine GmbH richtig?

Praxishandbuch mit über 1.300 Beispielen, Mustern und Checklisten

2., überarbeitete und erweiterte Auflage (Linde)