Die Prokura – das unbekannte Wesen

Über die Prokura und die Person des Prokuristen findet sich vergleichsweise wenig Literatur. Dabei ist es wahrlich nicht so, dass diese Form der unternehmerischen Vollmacht „nicht ganz ohne“ ist. „Der Prokurist kann mehr als er darf“ ist ein unter Juristen häufig zu hörendes Bonmot. Wie man Prokurist wird, was er konkret darf und was nicht, wird im nachfolgenden Beitrag in den Grundzügen dargestellt. 

1. Systematische Einführung 

Begriff. Die Prokura ist eine umfassende Vollmacht mit gesetzlich festgelegtem Umfang. Sie ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außerge­richtlichen Geschäften sowie Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Unterneh­mens mit sich bringt (§ 49 Abs. 1 UGB). Wird mit einem Prokuristen ein Geschäft abgeschlossen, so kann sich der Vertragspartner in der Regel darauf verlassen, dass dieses Rechtsgeschäft für oder gegen das Unternehmen als Geschäftsinhaber wirkt.

Entstehen. Die Prokura entsteht durch eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung, wofür eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Unternehmers, eines persönlich haftenden Gesellschafters oder eines Organvertreters einer Kapitalgesellschaft genügt. Im Innenverhältnis stützt sich die Prokura stets auf ein Grundverhältnis, welches die rechtlichen Beziehungen zwischen Prokurist und Gesellschaft als Unternehmen regelt. Dies wird üblicherweise ein Dienstvertrag, manchmal auch ein Auftrag sein. Eine Ermächtigung ist zwar denkbar, kommt in der Unternehmenspraxis seltener vor, weil diese ein bloßes rechtliches Dürfen statt einem Müssen festlegt.

Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung erfolgt die Prokuraerteilung, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, durch sämtliche Geschäftsführer gemeinsam. Voraussetzung ist jedoch, dass von der Generalversammlung die Entscheidung getroffen wurde, dass Prokura erteilt werden darf (§ 35 Abs. 1 Z 4 GmbHG). Die Generalversammlung kann aber die Bestellungsentscheidung (Auswahl der Person) auch selbst treffen, allerdings nur im Innenverhältnis, da zur Bevollmächtigung Vertretungsbefugnis erforderlich ist, welche die Generalversammlung nicht besitzt. Die Generalversammlung entscheidet – sofern der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt – mit einfacher Mehrheit.

Eine Erteilung der Prokura kann nur durch ausdrückliche Erklärung erteilt werden, schlüssige Handlungen sind nicht zulässig (§ 48 Abs. 1 UGB). Die Schriftform ist nicht erforderlich, es genügt jede eindeutige mündliche Erklärung (§ 863 Abs. 1 ABGB). 

Die Erteilung der Prokura ist vom Inhaber des Unternehmens bzw. den persönlich haftenden Gesellschaftern oder Mitgliedern des Geschäftsleitungsorgans von Kapitalgesellschaften in vertretungsbefugter Zahl zur Eintragung in das Firmenbuch anzumelden.

Personenkreis. Nicht vertretungsbefugte Gesellschafter (zB Kommanditisten, GmbH-Gesellschafter oder Aktionäre) können zu Prokuristen bestellt werden. Dies gilt auch für den einzigen Gesellschafter einer Ka­pitalgesellschaft.

Umfang des Bevollmächtigungsverhältnisses. Inhalt und Umfang des der Prokura zugrunde liegenden Bevollmächtigungsverhältnisses (rechtliches Dürfen im Außenverhältnis) ergeben sich aus den Bestimmungen des § 49 UGB. Inhalt und Umfang der der Prokura zugrunde liegenden Ermächtigung (rechtliches Dürfen im Innenverhältnis) bzw. der mit ihr verbundenen Verpflichtungen (rechtliches Müssen im Innenverhältnis) ergeben sich aus den konkreten empfangsbedürfti­gen Erklärungen der Organvertreter des Geschäftsherrn dem Prokuristen gegen­über (Ermächtigung) bzw. aus den gleichfalls regelmäßig nicht formgebundenen und nicht eintragungsfähigen vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Geschäftsführung und dem Prokuristen.

Zeichnung der Prokura. Der Prokurist hat in der Weise zu zeichnen, dass er der Firma seinen Namen mit einem die Prokura andeutenden Zusatz beifügt (§51 UGB). Sollte der Prokurazusatz fehlen, so ist die Zeichnung dennoch nicht un­wirksam. Üblicherweise zeichnet der Prokurist die Firma gestempelt und darun­ter mit vorangestelltem Prokurazusatz (ppa = per procura) seinen Namen handschriftlich. Der Prokurist hat seine Namensunterschrift mit einem die Prokura an­deutenden Zusatz zur Aufbewahrung bei Gericht zu zeichnen (§ 53 Abs. 2 UGB).

Vorteile einer Prokura. Der große Vorteil einer Prokura liegt zunächst darin, dass das Bevollmächtigungsverhältnis einerseits den gesamten betriebsgewöhnlichen Geschäftsbetrieb umfasst und andererseits die auf „nur“ eine Zweigniederlassung beschränkte Filialprokura zulässig ist. Ein Haftungsvergleich, etwa mit dem GmbH-Geschäftsführer, führt aus der Sicht des Prokuristen zu günstigeren Ergebnissen.

Pos. Fallgruppe
Prokurist GmbH- Geschäftsführer
(1)
Organhaftung gegenüber der Gesellschaft


(2)
Deliktische Haftung gegenüber Dritten

(3)
Haftung aus
der Anstellungs-
funktion

(4)
Abgabenhaftung


(5)
Sozialversicher-
ungsrechtliche Haftung


(6)
Strafrechtliche
Verantwort-
lichkeit

(7)
Gewerbe-
rechtliche
Haftung

Der Prokurist kann im Bereich der Geschäftsführung eigentlich die gleichen Befugnisse wie ein „richtiger“ Geschäftsführer haben, haftet aber in wesentlich geringerem Umfang, da es für seine Rechtsstellung keine Regelung analog § 25 GmbHG gibt. 

Der Prokurist unterliegt nur einem allgemeinen Schadenersatzrecht und nicht den besonderen Haftungsbestimmungen des GmbHG. 

2. Prokuraformen

Einzelprokura. Die Prokura kann einer einzelnen Person (Einzelprokura) oder mehreren Personen gemeinsam (Gesamtprokura) erteilt werden (§48 Abs. 2 UGB).

Bei der Gesamtprokura können nur mehrere Prokuristen gemeinsam handeln. Sie unterscheidet sich von der Einzelprokura nicht in ihrem Umfang, sondern nur in der Art ihrer Ausübung und soll den Geschäftsinhaber vor leichtsinnigem oder un­redlichem Handeln seiner Vertreter schützen.

Die Gesamtprokuristen brauchen nicht gleichzeitig zu handeln, es genügt, wenn einer die Erklärung abgibt und hiezu die Einwilligung, Genehmigung oder Bevollmächtigung der anderen vorliegt. Willenserklärungen Dritter (wie auch Zu­stellungen im Prozess) empfängt wirksam jeder einzelne Gesamtprokurist. Wil­lensmängel, Kennen, Kennen müssen und Verschulden eines Gesamtprokuristen wirken für alle.

Filialprokura. Betreibt das Unternehmen mehrere Zweigniederlassungen unter verschiedenen Firmen oder mit einem unterschiedlichen Firmenzusatz, so kann die Prokura auf eine Zweigniederlassung beschränkt werden (§ 50 Abs. 3 UGB).

Firmenrechtliche Fragen sind im Zusammenhang mit der Prokura erst dann zu beachten, wenn das Unternehmen mehrere Niederlassungen umfasst. Werden alle diese Niederlassungen unter der gleichen Firma geführt und wird dieser Firmenbezeichnung auch kein auf den jeweils gegebenen Zweigniederlassungscharakter hinweisender Zusatz beigefügt, gelten für die Prokuraerteilung keine Sonderregeln. Das bedeutet, dass diesfalls eine Filialprokura mit Außenwirkung nicht zulässig ist.

Voraussetzungen. Das Gesetz verlangt als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer auf den Betrieb einer Niederlassung eines Unternehmens außenwirksam beschränkten Prokura, dass diese Niederlassung(-en) unter verschiedenen Firmen betrieben wird (werden), wobei dem Erfordernis der Verschiedenheit auch dadurch Genüge getan werden kann, dass der an sich einheitlichen Firma jeweils ein auf den Zweigniederlassungscharakter hinweisender Zusatz beigefügt wird.

Anzahl. Niederlassungsprokuren können für eine oder für mehrere Filialen erteilt werden. Sie können auch auf die Hauptniederlassung beschränkt oder nur auf eine einzige Zweigniederlassung bezogen werden; die Geschäftsführung ist diesbezüglich frei in ihrer Entscheidung. Gesamtprokuren, bei denen ein Niederlassungsprokurist und ein für das ganze Unternehmen bestellter Prokurist zusammenwirken müssen, sind zulässig.

Umfang der Vertretungsmacht. Das vertretungswirksame Verhalten des Niederlassungsprokuristen verpflichtet nicht die Niederlassung, die ja keine eigene juristische Person ist, sondern immer die GmbH als Unternehmensinhaberin, deren Haftung für von einem solchen Prokuristen eingegangene Verpflichtungen auch nicht auf das Vermögen der betreffenden Niederlassung beschränkt ist oder von dem Fortbestand derselben abhängt. Die Filialprokura ist beim Firmenbuchgericht der Hauptniederlassung zur Eintragung bei diesem und dem Firmenbuchgericht der Niederlassung anzumelden.

Die gemischte Vertretung liegt dann vor, wenn das Geschäftsleitungsorgan einer Kapitalgesellschaft gemeinsam mit einem Prokuristen vertretungsbefugt ist.

Umfang der Vertretungsmacht. Die Besonderheit bei der gemischten Gesamtvertretung besteht darin, dass in jenen Fällen, in denen ein solcher Prokurist ge­meinsam mit einem Organ zeichnet, die Befugnisse, die dem Prokuristen im Rahmen der Ausübung der gemischten Gesamtvertretung zukommen, sich nach dem Umfang der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters richten und nicht nach dem Umfang der Vertretungsmacht eines Prokuristen. Der an der Gesamtvertretung beteiligte Prokurist verfügt daher über weitergehende Befugnisse als ein bloß als Prokurist agierender, insbesondere unterliegt er nicht den gesetzlichen Schranken der Prokura. Auf der anderen Seite darf der Bestand der gemischten Vertretung nie dazu führen, dass ein Geschäftsführer ohne Mitwirkung eines Prokuristen nicht vertreten und zeichnen kann. Die reine Organvertretung muss jedenfalls möglich bleiben.

3. Umfang der Prokura

Die Prokura ermächtigt zu allen Rechtshandlungen, die mit dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb eines Unternehmens zusammenhängen (können).

Nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören etwa erb- und familienrechtliche Geschäfte des Unternehmers, die Veränderung eines Unternehmens in seinem Bestand. Die Aufnahme sowie der Ausschluss von Gesellschaftern, die Einstellung und Veräußerung des Unternehmens, gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten (wie zB die Einberufung der Generalversammlung einer GmbH), alle Maßnahmen die Prokura betreffend (zB Erteilung einer weiteren Prokura) und die Veräußerung und Belastung von Grundstücken, sofern nicht eine solche Vollmacht gem. § 49 Abs. 2 UGB ausdrücklich erteilt wurde. 

In der sog Immobiliarklausel (§ 49 Abs. 2 UGB) werden die Veräußerung und die Belastung von Grundstücken ausdrücklich von der Prokura ausgenommen. Hiezu bedarf es einer Spezialvollmacht des Unternehmens. Hat ein Prokurist keine solche Spezialvollmacht, kann er nur Grundstücke erwerben und über sie Bestandverträge abschließen. Die Bestellung einer Restkaufpreishypothek beim Erwerb eines Grundstückes ist durch die Prokura gedeckt.

4. Beschränkungen der Prokura

Beschränkungen der Prokuragegenüber Dritten sind unwirksam (§ 50 Abs. 1 UGB). Werden dem Prokuristen Beschränkungen in sachlicher, zeitlicher oder örtlicher Hinsicht vertraglich auferlegt oder Weisungen erteilt, sind diese nur im Innenverhältnis zwischen Prokurist und Geschäftsinhaber wirksam – selbst dann, wenn der Dritte die Beschränkung oder Weisung kennt (§ 50 Abs. 2 UGB). 

Zulässige Beschränkungen der Prokura im Innenverhältnis können vereinbart werden in Form einer Beschränkung auf gewisse Geschäfte oder gewisse Arten von Geschäften, der Ausübung der Prokura nur unter bestimmten Umständen oder zu einer bestimmten Zeit sowie die Beschränkung der Vertretungsmacht eines Prokuristen auf einzelne Orte. 

Eine schuldhafte Verletzung der Vertretungsbefugnis macht den Prokuristen schadenersatzpflichtig. Hat hingegen der Dritte mit dem Prokuristen arglistig zum Nachteil des Geschäftsinhabers zusammengewirkt (Kollusion), dann braucht dieser das Geschäft nicht gegen sich gelten zu lassen.

5. Erlöschen der Prokura

Widerruf. Sowohl der Inhaber des Unternehmens als auch jeder persönlich haftender Gesellschafter sowie jedes Mitglied des Geschäftsleitungsorgans einer Kapitalgesellschaft kann die erteilte Prokura ohne Rücksicht auf das der Erteilung zugrunde liegende Rechtsverhält­nis jederzeit widerrufen, unbeschadet des Anspruches auf die vertragsmäßige Vergütung (§ 52 Abs. 1 UGB). Der Widerruf braucht nicht begründet zu werden, da es sich um eine höchstpersönliche Vertrauensbasis handelt, die naturgemäß auch beeinträchtigt sein kann.

Zurücklegung durch den Prokuristen. Auch der Prokurist kann die Prokura zurücklegen, doch bleibt diese im Außenverhältnis bestehen, bis im Firmenbuch die Löschung erfolgt ist (§1021 ABGB).

Sonstige Gründe. Ableben oder die Geschäftsunfähigkeit des Prokuristen führen zum Erlöschen der Prokura, nicht aber der Tod eines Geschäftsführers (§ 52 Abs. 3 UGB), weil gerade in einem solchen Fall die Hilfe des Prokuristen zur Fortführung des Betriebes unentbehrlich ist. Ein weiterer Grund für das Erlöschen der Prokura ist die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Geschäftsinhabers (GmbH) oder des Prokuristen (§ 1024 ABGB).