Der Nachweis des „unternehmerischen Ermessens“ aus dem Blickwinkel des GmbH-Geschäftsführers – Quo vadis Business Judgement Rule?
Anlässlich der 6. Steirischen Bilanz- und Steuertage 2017 war auch das grundsätzlich sehr weite Beurteilungs- und Entscheidungsermessen von GmbH-Geschäftsführern und damit zusammenhängend die Business Judgement Rule ein Thema. Nachdem dieses mittlerweile gesetzlich verankerte Haftungsprivileg zugunsten von Geschäftsführern, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, das unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetz eine Pflichtverletzung ausschließt, von enormer praktischer Bedeutung für eine erfolgreiche Haftungsvermeidungsstrategie des Adressatenkreises ist, will der heutige Beitrag hierzu die erforderlichen Klarstellungen treffen.
Ausgangsbasis für dieses weite Beurteilungs- und Entscheidungsermessen sind die nachfolgenden Voraussetzungen:
- Es muss sich um eine nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung handeln.
- Beachtung gesetzlicher und gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen sowie GV- / AR- / Beiratsbeschlüssen.
- Der GF handelt frei von Eigeninteressen und sachfremden Einflüssen.
- Die Entscheidung muss, zu dem Zeitpunkt zu dem sie getroffen wird, offenkundig geeignet sein, nach Überzeugung des GF geeignet sein, dem Wohle der Gesellschaft zu dienen.
- Die Entscheidungsgrundlage stützt sich auf einer der Bedeutung der Maßnahme angemessene Information.
- Keine unverhältnismäßigen Risiken.
- Gutgläubigkeit des GF im Hinblick auf die Voraussetzungen zu i. bis vii.
Die Prüfung der Angemessenheit von Geschäftsführungshandlungen erfolgt insb. Im Falle einer Interessenkollision. Keinen Ermessenspielraum haben die Geschäftsführer in jenen Fällen, bei denen sie kraft Gesetz verpflichtet sind, bestimmte Handlungen zu setzen oder zu unterlassen.
1. Grundsätzliches
Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (BGBl I Nr. 112/2015) wurde der Gedanke der Business Judgment Rule (BJR) in Österreich in § 84 Abs 1a AktG und § 25 Abs 1a GmbHG erstmals gesetzlich kodifiziert. Unter BJR wird ein gesetzlich verankertes Haftungsprivileg zugunsten von Vorständen und Geschäftsführern verstanden, das unter bestimmten Voraussetzungen von Gesetzes wegen eine Pflichtverletzung ausschließt: Im Falle einer schadensauslösenden Risikoverwirklichung aufgrund einer zuvor getroffenen unternehmerischen Ermessensentscheidung besteht keine Haftung für entstandene Schäden. Die BJR-Grundsätze sind unter Berücksichtigung ihrer nebenberuflichen Überwachungsfunktion auch zu Gunsten von Aufsichtsratsmitgliedern anzuwenden.
Die BJR hat neben einer haftungsbegrenzenden Aufgabe für unternehmerisches Handeln im Wesentlichen die Funktion einer Beweislastregel. Handeln GmbH-Geschäftsführer im Einklang mit der BJR, dann wird vermutet, dass ihr Handeln ordnungsgemäß war und sie bei ihren unternehmerischen Entscheidungen („Business Judgment“) das nunmehr gesetzlich eingeräumte Ermessen beachtet haben. Wurden von einem GmbH-Geschäftsführer die Voraussetzungen der BJR erfüllt, muss die Gesellschaft als Klägerin diese Vermutung eines ordnungsgemäßen Handelns entkräften.
Voraussetzungen für die sorgfältige Ausübung des unternehmerischen Ermessens sind, dass
- eine nachvollziehbare unternehmerische Entscheidung vorliegt;
- der Geschäftsführer gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Bestimmungen sowie Beschlüsse der Generalversammlung oder eines allfälligen Aufsichtsrats ( Beirats) beachtet;
- der Geschäftsführer unbefangen – also frei von Eigeninteressen, sonstigen Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen – handelt;
- sich die Entscheidung auf einer der Bedeutung der Maßnahme angemessenen Information stützt;
- die Entscheidung, zu dem Zeitpunkt, zu dem sie getroffen wird, offenkundig geeignet ist, nach Überzeugung des Geschäftsführers im besten Interesse dem Wohl des Unternehmens zu dienen;
- die Entscheidung nicht mit unverhältnismäßigen Risiken verbunden ist;
- eine Gutgläubigkeit des Geschäftsführers im Hinblick auf die Voraussetzungen zu a. bis f. gegeben ist.
Die Anwendung der BJR ist daher grundsätzlich an sämtliche der vorangeführten Voraussetzungen geknüpft; eine Haftung gegenüber der Gesellschaft kommt „jedenfalls“ nicht in Betracht. Das Fehlen eines dieser Erfordernisse führt zum Wegfall der Berufung auf die BJR. Eine entscheidende Rolle kommt der Beweislastverteilung zu: Das österreichische Konzept geht davon aus, dass der Kläger (die Gesellschaft) Schaden und Kausalität zu beweisen hat, während der Geschäftsführer die Pflichtwidrigkeit seines Handelns widerlegen muss.
2. Die einzelnen Voraussetzungen
a. Unternehmerische Entscheidung
Von dieser wesentlichen Voraussetzung umfasst sind Entscheidungen mit einem Prognoseelement, die dem Ermessen des Geschäftsführers obliegen. Verlangen das Gesetz, der Gesellschaftsvertrag, eine Geschäftsordnung, ein Gesellschafterbeschluss, der Anstellungsvertrages des Geschäftsführers oder die Entscheidung eines sonstigen Gesellschaftsorgans vom Geschäftsführer ein bestimmtes Verhalten, so hat er keine Handlungsalternativen. Es liegt sohin keine unternehmerische Ermessensentscheidung vor; der Geschäftsführer hat das von ihm geforderte Verhalten jedenfalls zu erfüllen.
Ausgehend vom Grundgedanken, dass das Eingehen geschäftlicher Risiken oft unvermeidbar ist (dies unter Umständen sogar erst den wirtschaftlichen Erfolg begründet), bietet schon die allgemeine Sorgfaltsnorm des § 25 Abs. 1 GmbHG aufgrund eines zu bewertenden Verschuldensmaßstabs zugunsten von Geschäftsführern gewisse Ermessensspielräume (vgl. hierzu etwa OGH 23.5.2007, 3 Ob 59/07h).
Zu bedenken ist auch, dass nicht jede unzweckmäßige Entscheidung auch automatisch sorgfaltswidrig ist und deshalb den Ermessensspielraum des Geschäftsführers überschreitet. Von einem Missbrauch des Ermessensspielraums kann nur im Falle seiner eklatanten Überschreitung (OGH 26.2.2002, 1 Ob 144/01k) bzw. einer unbestritten unrichtigen Entscheidung (wider besseren Wissens) oder einer geradezu unvertretbaren Überschreitung des unternehmerischen Freiraums (OGH 11.6.2008, 7 Ob 58/08t) gesprochen werden.
In der unrichtigen Beurteilung der Folgen einer Handlung ist per se noch keine Fahrlässigkeit begründet, wenn nicht die Beurteilung der Entscheidungsgrundlagen selbst auf einer wesentlichen Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt beruht. Eine Schadenersatzpflicht kommt erst dann in Betracht, wenn die
- Grenzen des verantwortungsbewussten, ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhenden unternehmerischen Handelns deutlich überschritten werden,
- Risikobereitschaft überspannt wird oder das Verhalten aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.
b. Zulässige Weisungsbeschlüsse
Aufgrund seiner Rechtsstellung als treuhänderischer Verwalter fremder Vermögensinteressen hat der Geschäftsführer Beschlüsse anderer Gesellschaftsorgane zu beachten, sofern diese – das wird der Regelfall sein – nicht offenkundig rechtswidrig sind. Auch den Gesellschaftern sowie Mitgliedern eines allfälligen Aufsichtsrats kommt ein Entscheidungsermessen zu; dieses kann sich unter Umständen wesentlich von den von der Geschäftsführung ins Auge gefassten Maßnahmen unterscheiden. Wenn es einem Geschäftsführer nicht gelingt, seine Gesellschafter von der Zweckmäßigkeit einer von ihm mit guten Gründen zu vertretende Maßnahme zu überzeugen, so hat diese Handlung zu unterbleiben, mag dies auch noch so nachteilig für die Gesellschaft sein.
c. Keine Interessenkonflikte
Der Geschäftsführer darf kein eigenes relevantes Interesse an der von ihm zu treffenden unternehmerischen Entscheidung haben (disinterested judgment); er darf sich sohin bei der unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lassen, sondern hat ausschließlich im Interesse der Gesellschaft zu handeln. Diesbezügliche Grenzen ergeben sich jedenfalls aus zwingendem Recht (Rechnungslegungsvorschriften, Verbot der Einlagenrückgewähr, Eigenkapitalersatzrecht) oder aus persönlichen Interessen bzw. Interessenkonflikten. Führt eine riskante Entscheidung zu einem persönlichen Vorteil des Geschäftsführers oder naher Angehöriger, besteht hinreichende Gefahr, dass der Geschäftsführer das Interesse der Gesellschaft nicht bestmöglich verfolgt. Ein Interessenkonflikt, der sich auf die Entscheidung überhaupt nicht auswirkt, ist jedoch belanglos.
Grundsätzlich gehen die Interessen der Gesellschaft jenen des Geschäftsführers immer vor; hiervon gibt es jedoch zwei wesentliche Ausnahmen:
- Im Hinblick auf seine anstellungsvertragliche Situation (insbesondere die Vergütung) ist der Geschäftsführer zur Verfolgung eigener Interessen, die in der Praxis häufig in einem besonders ausgeprägten Gegensatz zu Gesellschaftsinteressen stehen, berechtigt.
- Besteht für den Geschäftsführer die unmittelbare Gefahr, für sein rechtswidriges Handeln von Dritten in Anspruch genommen zu werden, so ist seiner persönlichen Haftungsprophylaxe der Vorrang vor Geschäftsinteressen der Gesellschaft zu geben.
Wenn demnach durch eine sich als erfolgreich erweisende Ermessensentscheidung dem Geschäftsführer eine Tantieme zukommt, so ist diese die Folge der Ermessensentscheidung und nicht treuwidrig.
d. Angemessene Information
Der Geschäftsführer muss sich zur Vorbereitung einer Entscheidung hinreichend informiert haben (informed judgment) und auf Grundlage ausreichender Information für die jeweilige konkrete Situation bzw. Entscheidung handeln. Je höher das mit der Entscheidung verbundene Risiko, umso mehr kommt dieser Information praktische Bedeutung bei. Aus Nachweisgründen ist jedem Geschäftsführer zu empfehlen, seine Entscheidungsgrundlagen auf folgende Weise zu dokumentieren:
- Worin liegen die Chancen und Vorteile der ins Auge gefassten Maßnahme?
- Wie stellen sich dem gegenüber die Nachteile dar?
Entscheidend ist ein Abwägen von Pro und Kontra aus Sicht und Interessenlage der Gesellschaft.
Ein ausuferndes Informationsbedürfnis wird allerdings durch zwei Umstände begrenzt: Einerseits ist eine umfassende Informationsbeschaffung in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht immer möglich; andererseits ist jede Informationsbeschaffung naturgemäß mit Kosten verbunden. Die Kosten und der sonstige Aufwand haben in einem angemessenen Verhältnis zum Gegenstand der unternehmerischen Entscheidung zu bleiben. Jeder Geschäftsführer hat sich daher die Frage zu stellen, auf welcher Informationsgrundlage er diese Entscheidung treffen will; auch insoweit kommt ihm ein Entscheidungsermessen zu.
Auch die Frage nach dem Umfang der Informationsbeschaffung ist eine unternehmerische Entscheidung, deren Nachprüfung der BJR unterliegt.
e. Wohl des Unternehmens
Bei der Beurteilung des Unternehmenswohls geht es nicht primär um Entscheidungsroutinen im Rahmen des betriebsgewöhnlichen Geschäftsbetriebes. Es geht vielmehr darum, warum eine außergewöhnliche Maßnahme, die mit gewichtigen finanziellen und / oder organisatorischen und / oder rechtlichen Folgen verbunden ist oder sein kann, nach pflichtgemäßen Ermessen des Geschäftsführers das Wohl des Unternehmens im Hinblick auf langfristige Ertragsstärkung sowie Wettbewerbsfähigkeit der Produkte und Dienstleistungen fördert. Meines Erachtens genügt es, wenn der Geschäftsführer nachvollziehbar schriftlich dokumentiert, warum die Entscheidung, zu jenem Zeitpunkt, zu dem sie getroffen wurde, augenscheinlich dem Unternehmenswohl dient. Je schlüssiger die rechtzeitige Dokumentation umso geringer die Gefahr, unter Umständen Jahre später mit Vorwürfen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung wegen Überschreitung des Entscheidungsermessens konfrontiert zu werden.
f. Beherrschbares Risikopotenzial
Unternehmerische Entscheidungen sind aufgrund des Prognoseelements immer mit Risiken behaftet, solche einzugehen, führt nicht zu einer Pflichtverletzung des Geschäftsführers. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist jedoch der Umfang des unternehmerischen Risikos zu prüfen. Ist nicht auszuschließen, dass durch ein völliges Fehlschlagen einer unternehmerischen Handlung die Gesellschaft in insolvenzrechtlicher Hinsicht ernstlich gefährdet ist, so übersteigt dieses Risiko bereits das Entscheidungsermessen des Geschäftsführers. Er hat die von ihm ins Auge gefasste Maßnahmen den Eigentümern (bzw. einem allfälligen Aufsichtsrat, Beirat oder sonstigem fakultativen Gesellschaftsorgan) hinsichtlich der Chancen und Risiken wahrheitsgemäß zu präsentieren, sowie Fragen der zur Entscheidung Berechtigten zu beantworten. Genehmigt die Generalversammlung ein außergewöhnlich riskantes Geschäft zu Lasten der Gesellschaft, ist der Geschäftsführer zur Befolgung dieses Weisungsbeschlusses (sofern dieser nicht unzulässiger Weise gefasst wurde) verpflichtet.
g. Gutgläubigkeit des Geschäftsführers
Der Geschäftsführer muss nachvollziehbar nach seiner Überzeugung im besten Interesse des Unternehmens gehandelt haben (rational belief and good faith). Der Geschäftsführer muss annehmen dürfen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn für den Geschäftsführer erkennbar ist, dass sein Handeln den gesetzlich zulässigem Entscheidungsermessen des Eigentümerorgans widerspricht.
3. Schlussfolgerungen
Auch wenn die Voraussetzungen der BJR (§ 25 Abs 1a GmbHG) nicht erfüllt sind, muss nicht zwingend ein Sorgfaltsverstoß und / oder ein strafrechtlicher Untreuetatbestand vorliegen. Es gibt auch außerhalb der BJR haftungsfreies, somit nicht sorgfaltswidriges Ermessen. Die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Handlung ist in diesem Fall jedoch gesondert zu prüfen, weil der „safe-harbour-Effekt“ der BJR-Regelung entfällt.
Jedem GmbH-Geschäftsführer wird eine Dokumentation aller wichtigen unternehmerischen Ermessensentscheidungen nach folgendem Schema empfohlen:
- „Aufgrund welcher Informationen habe ich die Entscheidung getroffen?“
- Was hat für die von mir gesetzte unternehmerische Maßnahme gesprochen, was dagegen?“
- Wieso konnte ich davon ausgehen, dass die Entscheidung dem Wohl des „Unternehmens dient?“
- „Kann ich gegebenenfalls beweisen, dass ich bei der Entscheidung frei von Eigeninteressen gewesen bin?“