Das gesetzliche Stimmverbot von GmbH-Gesellschaftern – ein Praxisüberblick

„Wer durch die Beschlussfassung von einer Verpflichtung befreit, oder wem ein Vorteil zugewendet werden soll, hat hiebei weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht. Das Gleiche gilt von der Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft.“

Dieser nackte Gesetzestext des § 39 Abs. 4 GmbHG ist die Keimzelle von in der Beratungspraxis häufig auftretenden Auffassungsunterschieden, Missverständnissen und Überraschungen. Letzteres deshalb, weil in bestimmten Konstellationen der mit einer 90 %-igen Quote beteiligte Gesellschafter vom Stimmrecht ausgeschlossen ist und sohin die 10 %-ige Minderheit bei den betreffenden Beschlussfassungsgegenständen 100 % des Kapitals repräsentiert. Dazu kommt, dass in unmittelbaren Zusammenhang zum Stimmverbot auch § 39 Abs 5 GmbHG steht, weil eben kein generelles Stimmverbot bei Interessenkollisionen besteht.

Die Bestimmung des § 39 Abs. 5 GmbHG lautet:

„Wenn ein Gesellschafter selbst zum Geschäftsführer oder Aufsichtsrat oder Liquidator bestellt oder als solcher abberufen werden soll, so ist er bei der Beschlussfassung in der Ausübung seines Stimmrechtes nicht beschränkt.“

Der Normzweck von Stimmverboten liegt darin, die gesellschaftsinterne Willensbildung auf eine möglichst fehlerfreie Grundlage zu stellen. Um es  deutlicher zu sagen: In den vom Gesetz erfassten Fällen gehen Gesellschaftsinteressen vor Gesellschafterinteressen. Die Bestimmung des § 39 Abs 4 erfasst bei weitem nicht alle Fälle widerstreitender Gesellschafts- und Eigeninteressen bzw Mehrheits- und Minderheiteninteressen, sondern lediglich zwei Teilaspekte von möglichen Interessenkonflikten:

Einem Gesellschafter kommt weder im eigenen noch im fremden Namen das Stimmrecht zu (§ 39 Abs 4), wenn

  1. er durch eine Beschlussfassung der Generalversammlung von einer bestehenden Verpflichtung befreit werden soll;
  2. ihm als Geschäftsführer im Rahmen einer ordentlichen Generalversammlung die Entlastung erteilt werden soll;
  3. ihm ein besonderer Vorteil durch eine Beschlussfassung der Generalversammlung zugewendet werden soll, dies unter der Voraussetzung, dass der GmbH oder mindestens  einem anderen Gesellschafter daraus ein Nachteil entstehen könnte;
  4. über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm abgestimmt werden soll;
  5. in der Generalversammlung über die Einleitung oder Beendigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der GmbH abgestimmt werden soll; Der Begriff „Rechtsstreit“ ist weit auszulegen; auch schiedsgerichtliche Verfahren sind erfasst. Kein Rechtsstreit im herkömmlichen Sinne ist aktives Konfliktmanagement, etwa durch einen Mediator. Als Einleitung eines Rechtsstreits ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung zu verstehen; dazu gehören insbesondere die Bestellung eines Prozessvertreters bei einem Passivprozess, die Entscheidung, ob sich die Gesellschaft überhaupt in einen Rechtsstreit einlassen soll, die Bestellung eines Sonderprüfers nach § 45 GmbHG sowie verschiedene außergerichtliche Maßnahmen. Vom Begriff Beendigung eines Rechtsstreits umfasst sind sowohl alle (prozessualen) Rechtshandlungen zu verstehen als auch jene, die den Fortgang des Verfahrens betreffen (vgl hierzu exemplarisch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 39 Rz 43); darunter fallen beispielsweise Rechtsmittel, Klagerücknahmen, (außer)gerichtliche Vergleiche, usw.
  6. sein  Geschäftsanteil kaduziert werden soll;
  7. er aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden soll,
  8. er Geschäftsführer ist und über die Entlastung eines anderen Gesellschafter-Geschäftsführers abgestimmt werden soll;
  9. bei Maßnahmen, die gegen ihn von den übrigen Gesellschaftern aus einem wichtigen Grund ergriffen werden, sofern es sich nicht um den Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer oder Liquidator handelt;
  10. im Gesellschaftsvertrag ein über die Fälle a. bis i. hinausgehendes Stimmverbot für den konkreten Fall vereinbart ist.

Die Bestimmungen über den Stimmrechtsausschluss sind bei einer Einpersonen-GmbH naturgemäß nicht anwendbar. Die gesetzlichen Regelungen über das Stimmverbot sind kein Schutzgesetz zu Gunsten der Gläubiger. Das Teilnahmerecht des vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschafters an der Generalversammlung bleibt von einem allfälligen Stimmverbot unberührt.

Die Ausübung des Stimmrechts durch einen Gesellschaftertrotz möglicher Interessenkollision ist in folgenden Fällen zulässig:

Soll demnach ein Gesellschafter selbst zum Geschäftsführer oder Aufsichtsrat oder Liquidator bestellt oder als solcher abberufen werden, ist er bei der Beschlussfassung in der Ausübung seines Stimmrechts nicht beschränkt; ein Stimmrechtsausschluss besteht in diesem Fall nicht.

Stimmverbot eines Gesellschafters bei Beschlussfassungen

Die gesetzlichen Regelungen über das Stimmverbot sind zwingend, weshalb sie durch den Gesellschaftsvertrag nicht geändert werden können.


Beschlussgegenstand


Stimm


verbot


Ja


Nein


Abstimmung über ein Auskunftsersuchen




 

Änderungen des Gesellschaftsvertrages

 



Auflösung der Gesellschaft

 



Ausschluss des Gesellschafters aus der GmbH




 

Befreiung von einer Verpflichtung aller Gesellschafter

 



Befreiung von einer Verpflichtung eines Gesellschafters (Vgl OGH 25.9.2001, 1 Ob 190/01 z)




 

Beschlussfassung über die Einforderung noch ausstehender Einlagen

 



Beschlussfassung über die Teilung und Übertragung seines Geschäftsanteiles

 



Beseitigung eines Sonderrechts

 



Bestellung zum Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglied oder Liquidator

 



Eigene Entlastung des Gesellschafters als Geschäftsführer, Liquidator oder Mitglied des Aufsichtsrats




 

Einleitung oder Beendigung eines Rechtsstreites zwischen dem Gesellschafter und der GmbH




 

Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen der GmbH und dem Gesellschafter




 

Entlastung eines anderen Gesellschafter-Geschäftsführers




 

Erteilung der Prokura an einen Gesellschafter

 



Feststellung des Jahresabschlusses bei Mitwirkung bei der Erstellung des Jahresabschlusses

 



Genehmigung der Übertragung des eigenen vinkulierten Geschäftsanteiles

 



Kaduzierung des eigenen Geschäftsanteiles




 

Kapitalerhöhung und Übernahme eines Geschäftsanteiles

 



Rechtsgeschäft zwischen dem Gesellschafter und der GmbH




 

Vorbereitung einer Ausschlussklage (vgl. OGH 22.2.1996, 6 Ob 657/95)




 

Wahl des Vorsitzenden der Generalversammlung

 



Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglied oder Liquidator

 



Zustimmung der Generalversammlung zur Abtretung eines Geschäftsanteiles an einen Nichtgesellschafter

 



Zuwendung eines besonderen Vorteiles, wenn der GmbH oder zumindest einem Gesellschafter daraus ein Nachteil entstehen könnte




 

Bei der Beschlussfassung über die Teilung und Übertragung von Geschäftsanteilen ist der betroffene Gesellschafter uneingeschränkt stimmberechtigt, weil diese Entscheidung den Kernbereich seiner Mitgliedschaft betrifft. Vgl hierzu weiterführend Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³(2007) § 39 Rz 46; Enzinger in Straube (Hrsg), Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz (2013) § 39 Rz 110.

Soweit ein Gesellschafter bei der Beschlussfassung in der Sache vom Stimmverbot betroffen wäre, darf er auch nicht mitstimmen, wenn es in der Generalversammlung um Verfahrensanträge geht.

Beispiel:

Ein Gesellschafter darf nicht bei einer Abstimmung darüber teilnehmen, ob die Beschlussfassung über einen Antrag auf seine Entlastung als Geschäftsführer auf die nächste Generalversammlung vertagt werden soll.

Stimmt ein Gesellschafter entgegen einem Stimmverbot ab, so ist seine Stimme nichtig. Bei der Beschlussfeststellung, also bei der Ermittlung und Verlautbarung des Abstimmungsergebnisses, sind die Stimmen aus dem betroffenen Geschäftsanteil nicht mitzuzählen. Sie sind auch dann nicht mitzuzählen, wenn es um die Ermittlung der für die erforderliche Mehrheit jeweils benötigten Stimmenzahl geht. Bei einer Drei-Personen-Gesellschaft mit paritätischer Beteiligung kommt demnach bei Stimmenthaltung eines Gesellschafters und Stimmrechtsausschluss des zweiten Gesellschafters der Beschluss mit der gültig abgegebenen Stimme des dritten Gesellschafters einstimmig zustande(vgl. hierzu OGH 22.9.2005, 2 Ob 175/05g).

Hat ein Abstimmungsleiter jedoch die entgegen einem Stimmverbot abgegebenen Stimmen tatsächlich mitgezählt, so ist seine Feststellung vorläufig verbindlich. Der festgestellte Beschluss kann nur durch Anfechtungsklage beseitigt werden (OGH 10.11.1996, 2 Ob 2146/96 v).