Die Mehrheit entscheidet … und wie wird sie ermittelt? Grundsätzliches zu den Beschlussmehrheiten im Gesellschaftsrecht

Viel Ungemach ließe sich vermeiden, wenn sich GmbH-Gesellschafter entweder zu einstimmigen Beschlüssen durchringen könnten oder abwechselnde Mehrheiten sicherstellen, sodass zumindest die überwiegende Zahl der Gesellschafter ihre Interessen, und zwar nicht zum offenkundigen Nachteil der überstimmten Eigentümer, durchsetzen und Ziele erreichen können. Die Praxis zeigt jedoch (leider) ein anderes Bild. Die folgenden Ausführungen wollen einen Beitrag zum besseren Verständnis zur Systematik der Beschlussmehrheiten im GmbH-Recht leisten.

1. Grundsätzliches

Die Beschlussfassung der Gesellschafter erfolgt – soweit das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmen – durch einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Diese werden nicht nach Köpfen, sondern nach der Höhe des von den einzelnen Gesellschaftern übernommenen Teiles am Stammkapital gezählt. Je zehn Euro einer übernommener Stammeinlage gewährt eine Stimme; Bruchteile unter zehn Euro werden nicht mitgezählt. Jedem Gesellschafter kommt mindestens eine Stimme zu.

Durch eine gesellschaftsvertragliche Regelung können die Mehrheitserfordernisse insoweit verschärft werden, als Beschlüsse nur mit einer größeren als der gesetzlich jeweils vorhergesehenen Mehrheit oder gar nur einstimmig zustande kommen. Der Gesellschaftsvertrag kann auch vorsehen, dass 

In diesen Fällen ist ein Beschlussantrag erst dann angenommen, wenn die jeweiligen zusätzlichen gesellschaftsvertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind; die einfache oder sonst gesetzlich vorgeschriebene Mehrheit reicht nicht aus. Bei Wahlen zu einem Gesellschaftsorgan (insbesondere zum Aufsichtsrat) genügt ausnahmsweise die relative Mehrheit. 

Im Hinblick auf die Mehrheitserfordernisse ist zu unterscheiden in Beschlussgegenstände,

2. Einfache Mehrheit

In der Regel ist für die Beschlussfassung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Die Hälfte der nach Kapitalanteilen abgegebenen Stimmen muss also mindestens um eine Stimme überschritten sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Mehrheit der abgegebenen Stimmen zugleich auch die Mehrheit der erschienenen Gesellschafter oder gar die Mehrheit des Stammkapitals umfasst. Zu den abgegebenen Stimmen zählen nur diejenigen Stimmen, die für oder gegen den Antrag abgegeben werden und gültig sind.

Eine Beschlussfassung der Gesellschafter mit einfacher Mehrheitder abgegebenen Stimmen erfolgt 

3. Qualifizierte Mehrheit

Für die nachfolgenden Beschlussgegenstände ist eine qualifizierte Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen erforderlich:

4. Einstimmigkeit

Ein einstimmiger Beschluss der Generalversammlung ist in folgenden Fällen erforderlich:

  1. Bei Abänderung oder Neufassung des Gesellschaftsvertrages im Hinblick auf die Änderung des Gesellschaftszwecks oder eine (wesentliche) Änderung des Unternehmensgegenstandes (§ 50 Abs 3); eine Verringerung der Mehrheitserfordernisse durch den Gesellschaftsvertrag ist zulässig.
  2. Ausgliederung des gesamten Betriebes in eine Tochtergesellschaft: das Einstimmigkeitserfordernis stützt sich auf das Vorliegen einer faktischen Änderung des Unternehmensgegenstandes. 
  3. Abänderung des Gesellschaftsvertrages im Hinblick auf die Herabsetzung eines einstimmigen Beschlusserfordernisses.
  4. Beschlussfassung über eine asymmetrische Gewinnverteilung: In diesem Fall ist die Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter erforderlich; ein einstimmiger Beschluss der bloß anwesenden Gesellschafter ist nicht ausreichend.

5. Kombination von Stimmen- und Kapitalmehrheit

Für verschiedene im Gesetz angeführte Beschlussgegenständesind sowohl besondere Mehrheiten als auch Zustimmungserfordernisse vorgesehen:

  1. Bei der verschmelzenden Umwandlung (§ 2 Abs 1 UmwG) ist für den Umwandlungsbeschluss eine Drei-Viertel Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 2 Abs 3 UmwG iVm § 98)  und die Zustimmung des mit zumindest mit einer Quote von 90 % am Stammkapitel beteiligten Hauptgesellschafters erforderlich. Eine Erhöhung des Mehrheitserfordernisses bis zur Einstimmigkeit sowie die Statuierung weiterer Voraussetzungen sind zulässig.
  2. Im Falle der errichtenden Umwandlung (§ 5 UmwG) ist als erste Voraussetzung für den Umwandlungsbeschluss eine Drei-Viertel Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (§§ 5 Abs 5 sowie 2 Abs 3 UmwG iVm § 98 Abs 3). Zweite Voraussetzung ist entweder

Diese Zustimmungen können auch außerhalb einer förmlichen Generalversammlung erklärt werden. Eine Erhöhung des Mehrheitserfordernisses bis zur Einstimmigkeit sowie die Statuierung weiterer Voraussetzungen sind zulässig.

3. Bei der nicht-verhältniswahrenden Spaltung ist für den Spaltungsbeschluss eine Drei-Viertel Mehrheit der abgegebenen Stimmen und eine Mehrheit von 90 % des gesamten Stammkapitals erforderlich (§ 8 Abs 3 SpaltG). Eine Erhöhung des Mehrheitserfordernisses bis zur Einstimmigkeit sowie die Statuierung weiterer Voraussetzungen sind zulässig. Im Falle einer nicht verhältniswahrenden Spaltung bedarf der Beschluss der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter.

4. Eine Strukturbereinigung der Beteiligungsverhältnisse (Ausschluss auf Grundlage des Bundesgesetz über den Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern (Gesellschafter-Ausschlussgesetz – GesAusG) erfolgt einerseits mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen und bedarf andererseits der Zustimmung des mit einer Quote von zumindest 90 % beteiligten Hauptgesellschafters.

6. Besondere Mehrheitsverhältnisse

In den folgenden Fällen sind unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich zu den sonstigen Mehrheitsverhältnissen die Zustimmung einzelner Gesellschafter erforderlich:

  1. Im Falle einer entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag;
  2. bei Änderungen des Gesellschaftsvertrags, wenn dadurch einzelnen Gesellschaftern eingeräumte Sonderrechte abgeändert oder aufgehoben werden sollen (§ 50 Abs 4 und 5);
  3. Vermehrung der den Gesellschaftern nach dem Gesellschaftsvertrag obliegenden Leistungen (§ 50 Abs 3);
  4. im Falle von Umgründungsmaßnahmen, insbesondere bei Verschmelzungen (§ 99), formwechselnden Umwandlungen (§ 245 Abs 1 AktG) und Spaltungen (§ 10 SpaltG).

Eine Mehrheit von 90% des Stammkapitals ist erforderlich bei der verschmelzenden Umwandlung (§ 2 Abs 2 UmwG) sowie bei der errichtenden Umwandlung (§ 7 Abs 2 UmwG).

Bei den folgenden Strukturmaßnahmen ist die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich:

7. Praxisbeispiele 

Wie sich die Mehrheitsverhältnisse im Falle von gesetzlichen Stimmverboten oder abwesenden Gesellschaftern berechnen, wird an Hand nachfolgender Beispiele dargestellt.

Ausgangssituation: An der ABC-Industriebetriebe GmbH mit einem Stammkapital von € 100.000,– sind die nachfolgenden Gesellschafter beteiligt.



Gesellschafter



Übernommene Stammeinlage



Anzahl der Stimmen



Beteiligungs-quote in %



Anton Alber



€  41.000,–



4.100



41



Sieglinde Alber



€    9.000,–



900



9



Bernhard Berger



€  12.000,–



1.200



12



Brigitte Berger



€  13.000,–



1.300



13



Christine Claus



€  16.000,–



1.600



16



Dieter Daum



€    9.000,–



900



9




€ 100.000,–



10.000



100

Geschäftsführer sind Anton Alber und Emil Eder. Der Gesellschafter Anton Alber wurde im Gesellschaftsvertrag zum Geschäftsführer bestellt; der Widerruf seiner Bestellung ist auf wichtige Gründe beschränkt; es gelten die gesetzlichen Mehrheitsverhältnisse.

Beispiel:

Entlastung des Geschäftsführers Anton Alber. Bei diesem Generalversammlungsbeschluss ist Anton Alber nicht stimmberechtigt. Alle anderen Gesellschafter nehmen an der Beschlussfassung teil.



Gesellschafter



Übernommene Stammeinlage



Kapital bei Beschluss-fassung



Stimmen-verhältnis



Stimmen für Entlastung



Stimmen gegen Entlastung



Stimm-enthaltung



Anton Alber



€ 41.000,–



/



0






Sieglinde Alber



€   9.000,–



€  9.000,–



15,25 %




15,25 %




Bernhard Berger



€ 12.000,–



€ 12.000,–



20,34 %





20,34 %



Brigitte Berger



€ 13.000,–



€ 13.000,–



22,04 %




22,04 %




Christine Claus



€ 16.000,–



€ 16.000,–



27,12 %



27,12 %





Dieter Daum



€   9.000,–



€   9.000,–



15,25 %



15,25 %






€ 100.000,–

€ 59.000,–
100 %
42,37 %
37,27 %
20,34 %

Ergebnis: Für die Entlastung des Geschäftsführers Anton Alber haben sich 2.500 Stimmen (42,37 % des bei der Beschlussfassung anwesenden Kapitals) ausgesprochen. Gegen die Entlastung haben 2.200 Stimmen (37,27 % des bei der Beschlussfassung anwesenden Kapitals) votiert. Einer konkreten Meinung enthalten hat sich Gesellschafter Bernhard Berger mit 1.200 Stimmen. Dem Gesellschafter-Geschäftsführer Anton Alber wurde sohin die Entlastung erteilt.

Beispiel: 

Die Gesellschafter Christine Claus und Dieter Daum beantragen die Abberufung von Anton Alber als Geschäftsführer; dieser ist bei der Beschlussfassung stimmberechtigt. Alle Gesellschafter nehmen an der Abstimmung teil.



Gesellschafter



Übernommene Stammeinlage



Stimmen für Abberufung



Stimmen gegen Abberufung



Stimm-enthaltung



Anton Alber.



€  41.000,–




4.100




Sieglinde Alber



€    9.000,–



900





Bernhard Berger



€  12.000,–



1.200





Brigitte Berger



€  13.000,–





1.300



Christine Claus



€  16.000,–



1.600





Dieter Daum



€    9.000,–



900






€ 100.000,–



4.600



4.100



1.300

Ergebnis: Wenn im Gesellschaftsvertrag geregelt ist, dass für die Abberufung eines Mitglieds der Geschäftsführung die einfache (wenn auch relative) Mehrheit genügt, so ist Anton Alber als Geschäftsführer rechtswirksam abberufen. Wurde hingegen sinngemäß vereinbart, dass für die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses „50 % und eine Stimme“ erforderlich sind, so verbleibt Anton Alber als Geschäftsführer.

Beispiel:

Die Geschäftsführer Anton Alber und Emil Eder stellen den Antrag auf Genehmigung eines Investitionsvorhabens, welches kraft Satzungsbestimmung als zustimmungspflichtige Maßnahme vereinbart ist. Als Fremdgeschäftsführer ist Emil Eder nicht stimmberechtigt.



Gesellschafter



Übernommene Stammeinlage



Stimmen  für die Investition



Stimmen gegen die Investition



Stimm-enthaltung



Anton Alber



€  41.000,–



4.100





Sieglinde Alber



€    9.000,–




900




Bernhard Berger



€  12.000,–




1.200




Brigitte Berger



€  13.000,–




1.300




Christine Claus



€  16.000,–




1.600




Dieter Daum



€    9.000,–



900






€ 100.000,–



5.000



5.000


Ergebnis: Die Investition hat zu unterbleiben, weil Stimmengleichheit – wie im vorliegenden Fall – keine Zustimmung bedeutet.

Beispiel:

Die Geschäftsführer Anton Alber und Emil Eder stellen den Antrag auf Genehmigung eines Investitionsvorhabens, welches kraft Satzungsbestimmung als zustimmungspflichtige Maßnahme vereinbart ist. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel ist bei der Beschlussfassung Sieglinde Alber weder anwesend noch hat sie eine Stimmrechtsvollmacht erteilt.




Gesellschafter



übernommene Stameinlage



Kapital bei Beschlussfassung



Stimmen für die Investition



Stimmen gegen die Investition




Anton Alber



€  41.000,–



€ 41.000,–



4.100



Sieglinde Alber



€    9.000,–






Bernhard Berger.



€  12.000,–



€ 12.000,–




1.200



Brigitte Berger



€  13.000,–



€ 13.000,–




1.300



Christine Claus



€  16.000,–



€ 16.000,–




1.600



Dieter Daum



€    9.000,–



€   9.000,–



900





€ 100.000,–



€ 91.000,–



5.000



4.100

Ergebnis: Dem Antrag der Geschäftsführung, ein zustimmungspflichtiges Geschäft abzuschließen, wird von der Generalversammlung mit 5.000 Stimmen bei 4.100 Gegenstimmen zugestimmt.