Quo vadis bilanzielle Überschuldung?

Ein gefährlicher Moment im Leben einer Kapitalgesellschaft entsteht, wenn in der Bilanz (erstmals) ein negatives Eigenkapital ausgewiesen ist. In dieser Situation sind zwingende gesetzliche Vorschriften zu beachten, deren rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung vielfach vor allem von klein- und mittelständischen GmbHs unterschätzt wird. Der folgende Beitrag erläutert, was wann konkret zu tun ist.

Die Regelung des § 225 UGB enthält ergänzende Ausweisvorschriften zu einzelnen Bilanzpositionen, wobei in dieser Ausgabe des BÖB-Journals ausschließlich der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag näher erläutert wird.

Die folgende Abbildung zeigt eine Bilanz, über die sich jeder Bilanzbuchhalter von ganzem Herzen freuen wird:


Aktiva





Passiva


Anlagevermögen
Umlaufvermögen


300
500


Eigenkapital
Verbindlichkeiten und P.R.A.



200
600

 
800



800

Mit einem Eigenkapital von 25 % der Bilanzsumme ist die – beispielhafte –wirtschaftliche Situation der GmbH als sehr zufrieden stellend zu bezeichnen.

Zum Bilanzstichtag des Folgejahres hat sich die wirtschaftliche Situation wesentlich verschlechtert; die GmbH weist eine bilanzielle Überschuldung auf.


Aktiva




Passiva

Anlagevermögen
Umlaufvermögen


300
500


Eigenkapital
Verbindlichkeiten und P.R.A.



– 100
900

 
800



800

Es liegt auf der Hand, dass eine buchmäßige Überschuldung – wie im vorliegenden Beispielfall – nicht ohne weiteres sofort mit einer insolvenzrechtlichen Überschuldung gleichgestellt werden darf, da zu deren Beurteilung die Verkehrs- und nicht die Buchwerte heranzuziehen sind. Im Anhang als integrierenden Bestanteil jedes Jahresabschlusses ist nunmehr anzugeben, warum eine insolvenzrechtlich  relevante Überschuldung nicht vorliegt; diese Stellungnahme ist als insolvenzrechtliches Gutachten zu qualifizieren, welches auch der Veröffentlichungspflicht gemäß § 277 Abs. 1 UGB unterliegt.

Wie wird aber in der Praxis das Nichtvorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung trotz negativen Eigenkapitals begründet? Die Antwort lautet (leider): Häufig schlampig und wenig dokumentiert. Üblicherweise wird auf das Vorhandensein stiller Reserven verwiesen. Dies ist nicht falsch, weil in der Bilanz ein offenkundiges Abweichen des tatsächlichen Reinvermögens von den ausgewiesenen Buchwerten vorliegt. Es ist allerdings erforderlich, den Wert der stillen Reserven rechnerisch zu ermitteln. Dies kann in manchen Fällen auch die Beiziehung von Gutachtern (etwa im Zusammenhang mit der Wertfeststellung von Liegenschaften) erfordern. Die folgende Abbildung zeigt, wie im Rahmen des ersten Schrittes der zweistufigen Überschuldungsprüfung durch Aufstellung einer Bilanz, bei der das Aktivvermögen unter Zugrundelegung von Liquidationswerten (unter Berücksichtigung  der stillen Reserven als rechnerischer Unterschied zwischen  den Buch- und Liquidationswerten) ausgewiesen ist das Nichtvorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung dargestellt werden kann.


Aktiva




Passiva

Anlagevermögen
Stille Reserven
Umlaufvermögen


300
150
500


Eigenkapital

Verbindlichkeiten und P.R.A.



50

900

 
950



950

Diese Bilanz zu Liquidationswerten ist ausschließlich intern und nicht veröffentlichungspflichtig; sie erfüllt bei einer allfälligen späteren Beurteilung der geschuldeten Sorgfalt der Geschäftsführung eine praktisch sehr bedeutsame Dokumentationsfunktion. Im Anhang sollte es nicht heißen Im Anlagevermögen befinden sich stille Reserven, sondern besser Im Anlagevermögen befinden sich stille Reserven in Höhe von 150. 

Neben der Berücksichtigung allfälliger stiller Reserven ist zu prüfen, ob unter Einbeziehung noch nicht eingeforderter Kapitalanteile und der unter den unversteuerten Rücklagen ausgewiesenen Eigenkapitalanteile nach Abzug etwaiger latenter Steuern eine Kompensation der buchmäßigen Überschuldung erreicht werden kann. Weitere Argumente im Zusammenhang mit der Erläuterungspflicht gemäß § 225 (1) UGB können aktivierungspflichtige Einzahlungszusagen einzelner Gesellschafter, eine im Zuge des Bilanzerstellungszeitraumes bereits erfolgte Kapitalerhöhung, Verzichtserklärungen von Gläubigern, Nachrangerklärungen von Gesellschaftern und Dritten, Rücktritts- sowie Patronatserklärungen sein. Welche Tatbestände auch immer vorliegen, eine insolvenzrechtliche Überschuldung zu verneinen: die rechnerischen Auswirkungen sind in dieser internen Bilanz darzustellen und im Anhang schlüssig zu erläutern. Aus haftungsrechtlichen Gründen sollte nicht der Bilanzersteller das insolvenzrechtliche Gutachten ausformulieren, sondern die Geschäftsführung der betroffenen Gesellschaft. Für die Dokumentation des Bilanzerstellers empfiehlt sich insoweit, eine firmenmäßig gefertigte Stellungnahme der Geschäftsführung im Mandantenakt aufzubewahren. 

Reichen die dargestellten demonstrativen Maßnahmen nicht aus und zeigt die interne Bilanz mit der Darstellung des Aktivvermögens zu Zerschlagungswerten das nachfolgende Bild, so spitzt sich die Krise zu.


Aktiva




Passiva

Anlagevermögen
Stille Reserven
Umlaufvermögen


300
150
500


Eigenkapital

Verbindlichkeiten und P.R.A.



– 150

1.100

 
950



950

Es liegt eine statische Überschuldung vor, die – das ist der erfreuliche Teil der schlechten Nachricht – noch nicht zwingend mit einer insolvenzrechtlichen Überschuldung gleichzusetzen ist. Eine insolvenzrechtlich relevante Überschuldung ist gegeben, wenn

In diesem Stadium kann vor der Insolvenzantragspflicht nur eine plausible, positive Fortbestehensprognose retten; dies mag eine gute Botschaft sein. Die schlechte Nachricht ist, dass die Erstellung einer Fortbestehensprognose eine äußerst heikle Angelegenheit ist und während des Erstellungszeitraums die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft unbedingt erhalten werden muss.

Bei einer Fortbestehensprognose handelt es sich um einen Prognosetatbestand, der auf die Gefahr einer zukünftigen Zahlungsunfähigkeit abstellt. Die Überschuldungkann daher als eine vorweggenommene Zahlungsunfähigkeit bezeichnet werden.

Die Fortbestehensprognose ist eine von einer statischen Überschuldung ausgehenden Darstellung,

Zielder Fortbestehensprognose ist die Beseitigung der rechnerischen Überschuldung. Der Geschäftsplan für die Dauer der Fortbestehensprognose muss schriftlich dargelegt, plausibel, überprüfbar, finanzierbar und finanziert und von positivem Ausgang gekennzeichnet sein. Andernfalls ist bereits bei Aufstellen der Fortbestehensprognose deren Scheitern zu unterstellen. 

Die für die zweckmäßige Erstellung einer Fortbestehensprognose maßgeblichen Probleme werden als Frequently Asked Questions im nächsten BÖB Journal wie gewohnt in praxistauglicher Form dargestellt.