Grenzüberschreitende Verschmelzung – Grundlagen

Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Verschmelzungen ist das Bundesgesetz über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union (EU-Verschmelzungsgesetz – EU-VerschG) vom 24.10.2007, BGBl Nr I 72/2007. Durch das EU-VerschG wurde die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten – die zwischenzeitlich gemeinsam mit anderen das Gesellschaftsrecht betreffenden europäischen Richtlinien inhaltlich unverändert in der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts kodifiziert wurde – im nationalen Recht umgesetzt.

1. Grundlagen

@= „Kapitalgesellschaft“

Vom Begriff „Kapitalgesellschaft“ gemäß § 1 Abs 1 EU-VerschG umfasst ist eine Gesellschaft (,) im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 2009/101/EG zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften gemäß Artikels 48 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) im Interesse

  • der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten; oder
  • die Rechtspersönlichkeit besitzt und über gesondertes Gesellschaftskapital verfügt, das ausschließlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, und die nach dem für sie maßgebenden innerstaatlichen Recht im Sinne der Richtlinie 2009/101/EG Schutzbestimmungen im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter einhalten muss.

@= Zulässige Anwendung in 30 EWR-Staaten

Adressaten einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und die Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (27 EU-Mitgliedstaaten sowie des Fürstentum Liechtenstein, Island und Norwegen).

@= Begriffe

An einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sind Gesellschaften beteiligt, deren Rechtsverhältnisse verschiedenen nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen unterliegen. Als grenzüberschreitend werden die Verschmelzungsvorgänge deshalb bezeichnet, weil das Eigentum am Gesellschaftsvermögen vom Staat der übertragenden Gesellschaft in den Staat der aufnehmenden Körperschaft übertragen wird.

Die Verschmelzung einer inländischen übertragenden Gesellschaft auf eine ausländische übernehmende Gesellschaft wird in Folge als Export-Verschmelzung oder Hinausverschmelzung, die Verschmelzung einer ausländischen übertragenden Gesellschaft auf eine inländische übernehmende Gesellschaft als Import-Verschmelzung oder Hereinverschmelzung bezeichnet.

Eine „aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft“ im Sinne des EU-VerschG ist sowohl eine übernehmende Gesellschaft[1] (§ 219 Z 1 AktG) als auch eine durch die Verschmelzung gegründete neue Gesellschaft (§ 219 Z 2 AktG).

@= Negativabgrenzung

Keine grenzüberschreitende Verschmelzung ist die Verschmelzung von Gesellschaften, die den gleichen verbandsrechtlichen Rechtsverhältnissen unterliegen, aber in verschiedenen Staaten steueransässig sind. Auch wenn derartigen Verschmelzungen dieselben grenzüberschreitenden Wirkungen in steuerrechtlicher Hinsicht zukommen wie (echten) grenzüberschreitenden Verschmelzungen, handelt es sich im international-privatrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Bereich um nationale (interne) Verschmelzungen. Eine grenzüberschreitende Verschmelzung im Sinne des § 1 Abs 1 Z 4 UmgrStG liegt somit im Ergebnis nur dann vor, wenn die beteiligten Gesellschaften verschiedenen (gesellschaftsrechtlichen) Rechtsgrundlagen unterliegen. Grenzüberschreitende Verschmelzungen, an denen nur ausländische Gesellschaften beteiligt sind, unterliegen uneingeschränkt ausländischen Verschmelzungsvorschriften.

@= Voraussetzungen

Eine österreichische GmbH (oder AG) kann sich gemäß § 3 Abs 1 EU-VerschG

  • mit Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind und im Gemeinschaftsgebiet entweder ihren statuarischen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung haben, grenzüberschreitend verschmelzen; oder
  • aus einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind, hervorgehen.

Die „Gründung nach dem Recht eines Mitgliedsstaats“ ist im Sinne von „dem Recht eines Mitgliedsstaats unterliegend“ zu verstehen. Vom Anwendungsbereich des EU-VerschG sind auch Gesellschaften, die durch identitätswahrende Umwandlung aus einer nicht nach dem Recht eines Mitgliedsstaats gegründeten Gesellschaft hervorgegangen sind, erfasst.[1]

@= Zuständigkeit

Das Firmenbuchgericht am Sitz der beteiligten inländischen Kapitalgesellschaft entscheidet gemäß § 2 EU-VerschG im Verfahren außer Streitsachen bei der

  • Export-Verschmelzung über die Rechtmäßigkeit der einer grenzüberschreitenden Verschmelzung vorangehenden Rechtshandlungen und die Erfüllung von Formalbestimmungen (§ 14 Abs 3 EU-VerschG) sowie
  • Import-Verschmelzung über die Rechtmäßigkeit der Durchführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung (§ 15 Abs 3 EU-VerschG).

@= Anwendbares Recht

Ausgangspunkt für die kollisionsrechtliche Behandlung sind die Personalstatuten der beteiligten Gesellschaften. Für das vor Eintritt der Verschmelzungswirkungen durchzuführende Verfahren sind jeweils die Bestimmungen der für die übertragende Gesellschaft maßgeblichen Rechtsordnung anzuwenden. Von den Verschmelzungswirkungen sind die Gesamtrechtsnachfolge und der Untergang der übertragenden Gesellschaften nach deren Personalstatut sowie Fragen der Anteilsgewährung nach dem Personalstatut der aus der Verschmelzung hervorgehenden (aufnehmenden oder neu gegründeten) Gesellschaft zu beurteilen.

@= Gesamtrechtsnachfolge

Die Wirkungen der Gesamtrechtsnachfolge bei einer Exportverschmelzung ist nach österreichischem Recht zu beurteilen. Besteht zu Gunsten der übertragenden Gesellschaft ein Wiederverkaufsrecht im Sinne der §§ 1068 ff ABGB, so geht dieses auf die aufnehmende Körperschaft über und kann bis zum Fristende ausgeübt werden. Im Zuge einer umgründungsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge gehen höchstpersönliche Rechte nicht verloren; aus diesem Grunde sind auch der Gesellschaft gegebene Vollmachten übertragbar.

Der Zeitpunkt, an dem die grenzüberschreitende Verschmelzung wirksam wird, ist nach dem Personalstatut der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu beurteilen (§ 3 Abs 3 EU-VerschG).

@= VerschmelzendeUmwandlung auf den ausländischen Hauptgesellschafter

Ebenfalls eine grenzüberschreitende Verschmelzung im weiteren Sinne ist eine verschmelzende Umwandlung auf den ausländischen Hauptgesellschafter (§ 2 UmwG). Sie setzt allerdings voraus, dass der ausländische Rechtsträger vor der Verschmelzung zumindest 90 Prozent des Nennkapitals der übertragenden inländischen Gesellschaft hält. Die grenzüberschreitende verschmelzende Umwandlung selbst fällt zivilrechtlich in den Anwendungsbereich des Umwandlungsgesetzes und steuerlich unter Art II UmgrStG.