Grenzüberschreitende Verschmelzung – Exkurs: Zielsetzungen der Verschmelzungs-Richtlinie

Die Verschmelzungsrichtlinie ist von nachfolgenden Überlegungen geprägt, die auch für allfällige Auslegungsfragen im nationalen Recht maßgeblich sein können.

2. Exkurs: Zielsetzungen der Verschmelzungs-Richtlinie

  • Grenzüberschreitende Verschmelzungen sind nur zwischen Gesellschaften solcher Rechtsformen möglich, die sich nach dem innerstaatlichen Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten verschmelzen dürfen.
  • Für jede an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft und jeden beteiligten Dritten gelten die Bestimmunen des innerstaatlichen Rechts, welches im Falle einer innerstaatlichen Verschmelzung anwendbar wäre.
  • Die innerstaatlichen Vorschriften sollen keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit oder des freien Kapitalverkehrs einführen, ausgenommen diese sind in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und lassen sich durch Erfordernisse des Gemeinwohls rechtfertigen und sind zur Erfüllung solcher vorrangiger Erfordernisse erforderlich und angemessen.
  • Die Rechte der Arbeitnehmer (vor allem betreffend Massenkündigungen, Betriebsübergang, Informations- und Anhörungsrechte, Betriebsverfassungsrecht) sollen weiterhin den Vorschriften der Mitgliedstaaten unterliegen. Sonderregelungen bestehen hinsichtlich der Mitbestimmung.
  • Eine nationale Behörde kann aus Gründen öffentlichen Interesses eine Verschmelzung verbieten, jedoch nur, wenn ihr auch für innerstaatliche Verschmelzungen dieses Recht (etwa auf kartellrechtlicher Grundlage) zukommt.

Durch die Verschmelzungs-Richtlinie erfolgt keine Harmonisierung des Gläubigerschutzes und der (berechtigten) Interessen von Minderheitsgesellschaftern.

@= Verschmelzungsfähige Unternehmen im Sinne der Verschmelzungs-Richtlinie

Die Verschmelzungs-Richtlinie ist auf Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften anwendbar, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet worden sind und die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Gemeinschaft haben, sofern mindestens zwei der Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen.

Nach dem Recht von Drittstaaten gegründete Gesellschaften können sich daher „e contrario“ keinesfalls auf der Grundlage der Verschmelzungs-Richtlinie verschmelzen, und zwar auch dann nicht, wenn sie ihren Hauptverwaltungssitz innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraum haben. Die Verschmelzungs-Richtlinie verhält sich damit sowohl gegenüber der Sitz- als auch der Gründungstheorie neutral.

@= Grenzüberschreitende Verschmelzung

Im Sinne vom Art 2 Z 2 der Verschmelzungs-Richtlinie ist Verschmelzung der Vorgang, durch den

  • eine oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine bereits bestehende Gesellschaft  gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der anderen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf zehn Prozent des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten;
  • zwei oder mehrere Gesellschaften zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine von ihnen gegründete Gesellschaft gegen Gewährung von Aktien oder sonstigen Anteilen am Gesellschaftskapital der neuen Gesellschaft an ihre eigenen Gesellschafter und gegebenenfalls einer baren Zuzahlung übertragen; die Zuzahlung darf 10 % des Nennwerts oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Werts dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten;
  • eine Gesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Auflösung ohne Abwicklung ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf die Gesellschaft überträgt, die sämtliche Aktien oder sonstigen Anteile an ihrem Gesellschaftskapital besitzt.

Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung lösen sich daher eine oder mehrere Gesellschaften ohne Abwicklung auf und ihre gesamten Aktiva und Passiva; sie gehen „uno actu“ im Wege der Universalsukzession auf die aufnehmende Körperschaft oder neu gegründete Gesellschaft über. Die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft werden Gesellschafter der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft.

@= Mögliche Varianten einer Verschmelzung

Die Richtlinie sieht drei mögliche Varianten einer grenzüberschreitenden Verschmelzung vor (Art 2 Abs 2) und zwar durch

  • Aufnahme in eine bestehende Gesellschaft (lit. a),
  • Neugründung auf eine neue Gesellschaft (lit. b), sowie
  • Konzernverschmelzung einer 100 %-igen Tochter auf ihre Muttergesellschaft (lit. c).

@= Beschränkung von baren Zuzahlungen

Sowohl im Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme als auch durch Neugründung darf eine allfällige bare Zuzahlung zehn Prozent des Nennwertes oder – bei Fehlen eines solchen – des rechnerischen Wertes dieser Aktien oder sonstigen Anteile nicht überschreiten. Das innerstaatliche Recht der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften hindert die Anwendung der Richtlinie nicht, soweit es eine bare Zuzahlung von mehr als zehn Prozent zulässt.