Grenzüberschreitende Verschmelzung – Arbeitnehmermitbestimmung Teil 3.

Voraussetzung für eine Verhandlungslösung ist, dass einer der nachfolgenden Tatbestände erfüllt sein muss

16.3. Verhandlungslösung

  • Eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften beschäftigt sechs Monate vor der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer und es besteht in dieser Gesellschaft ein System der gesellschaftsrechtlichen Arbeitnehmermitbestimmung (Art 16 Abs 2 erster Halbsatz der Richtlinie 2005/56/EG; § 258 Abs 1 Z 1 ArbVG). Unter gesellschaftsrechtlicher Mitbestimmung ist entsprechend der Richtlinien-Vorgabe das Recht der Arbeitnehmer zu verstehen Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen. Die beiden Voraussetzungen müssen in ein und derselben Gesellschaft erfüllt sein; sie können aber, zumindest nach dem Wortlaut, auch die übernehmende Gesellschaft betreffen.
  • Das Recht der übernehmenden Gesellschaft sieht nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor, wie er in den (übrigen) an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand.
  • Das Recht der übernehmenden Gesellschaft gewährt Arbeitnehmern, die in Betrieben der Gesellschaft außerhalb des Sitzstaates tätig sind, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten wie den im Sitzstaat beschäftigen Arbeitnehmern (Art 16 Abs 2 lit b Richtlinie 2005/56/EG; § 258 Abs 1 Z 3 ArbVG).

@= Verfahren

Die Aufforderung zur Errichtung des besonderen Verhandlungsgremiums hat gemäß § 215 Abs 1 ArbVG schriftlich von den zuständigen Leitungs- und Verwaltungsorganen an die Vertreter der Arbeitnehmer oder an die Arbeitnehmer selbst zu erfolgen. Die Adressaten dieser Aufforderung sind die (Vertreter der) Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften sowie jene der betroffenen Tochtergesellschaften und Betriebe.

Sind keine Arbeitnehmervertreter vorhanden, ist die Aufforderung – jeweils nach Maßgabe des jeweils anzuwendenden nationalen Rechts – an die Arbeitnehmer direkt zu richten.

@= Inhaltliche Vorgaben für das Verhandlungsgremium

Die Partner des Verhandlungsgremiums haben die Möglichkeit, sich über die gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung in der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu verständigen. Für die Verhandlungspartner bestehen nur wenige inhaltliche Vorgaben; dem Normzweck entsprechend ist ihnen eine weitgehende Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Zwingend ist lediglich die schriftliche Festlegung folgender Punkte:

  • Geltungsbereich der Vereinbarung.
  • Zeitpunkts des In-Kraft-Tretens, der Laufzeit und jener Anlässe, in denen die Vereinbarung neu aus zu verhandeln ist und das dabei anzuwendende Verfahren.
  • Im Falle der Vereinbarung eines Mitbestimmungsverfahrens: Anzahl und Rechte der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsrates.

Die den Verhandlungspartnern eingeräumte Gestaltungsfreiheit reicht so weit, dass sie auch den gänzlichen Verzicht des Verhandlungsgremiums auf Unternehmensmitbestimmung in den Gesellschaftsorganen einschließt. Ein solcher Beschluss des besonderen Verhandlungsgremiums erfordert – ebenso wie jede andere Reduktion der Mitbestimmung – eine doppelte qualifizierte Mehrheit.

Die Verhandlungspartner können sich auch darauf einigen, die Auffangregelung jenes Mitgliedstaates, in dem die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben wird, zur Regelung der Unternehmensmitbestimmung zu erklären. Dabei können sie beschließen, abweichend von der Auffangregelung den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsorgan der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft zu beschränken.

Bis zur Anmeldung der Verschmelzung ist eine Mitbestimmungslösung in der einen oder anderen Form (Beschluss der Leitungsorgane oder des Verhandlungsgremiums über die Anwendung der Auffangregelung, Abschluss der Vereinbarung) zu treffen.

Aufgabe des besonderen Verhandlungsgremiums ist es, mit den Geschäftsleitungsorganen der beteiligten Gesellschaften eine schriftliche Vereinbarung über die Mitbestimmung abzuschließen. In dieser Vereinbarung ist festzulegen

  • die Zahl der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsrates, welche die Arbeitnehmer wählen oder bestellen bzw deren Bestellung sie empfehlen oder ablehnen können;
  • das Verfahren, nach dem die Arbeitnehmer vorzugehen haben.

Das besondere Verhandlungsgremium hat über die Verteilung der Sitze im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der verschmolzenen Gesellschaft zu entscheiden.

Alle Arbeitnehmervertreter im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan sind vollberechtigte Mitglieder des jeweiligen Organs mit denselben Rechten (einschließlich des Stimmrechts) und denselben Pflichten wie die Mitglieder, welche die Aktionäre bzw Gesellschafter vertreten.

@= Form

Eine Vereinbarung im Sinne einer Verhandlungslösung gemäß Art 16 Abs 3 Richtlinie 2005/56/EG bedarf der Schriftform. Die beteiligten Gesellschaften handeln beim Abschluss der Vereinbarung durch ihre jeweiligen Vertretungsorgane. Im Falle einer Importverschmelzung, für die österreichisches Recht gilt, erfolgt die Vertretung nach allgemeinen Grundsätzen durch die beschlussfassende Mehrheit.

Nachdem die Geltung der Mitbestimmungsregelung vom Wirksamwerden der Verschmelzung abhängt, besteht ein Gleichlauf mit der Entscheidung über die Verschmelzung selbst; Die gesellschaftsinterne Entscheidungszuständigkeit zum Abschluss einer derartigen Vereinbarung auf Seiten der beteiligten Gesellschaften bzw zum Beschluss über die Anwendung der Auffangregelung liegt demnach bei den Gesellschafterversammlungen. Das Eigentümerorgan jeder der beteiligten Gesellschaften kann die Verschmelzung davon abhängig machen, dass die Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer von ihr genehmigt werden. Eine zwingende (neuerliche) Befassung der Haupt- oder Gesellschafterversammlung lediglich wegen der Arbeitnehmermitbestimmung besteht somit nicht.

@= Nulllösung

Fasst das besondere Verhandlungsgremium keinen entsprechenden Beschluss, so kommt es zu einer Nulllösung. Das bedeutet, dass in der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft keine betriebliche Mitbestimmung besteht.

@= Auffangregelung

Voraussetzungen für eine Auffangregelung sind

  • ein Beschluss der Leitungs- und Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften;
  • eine diesbezügliche Vereinbarung der Verhandlungspartner;
  • der Nichtabschluss der Verhandlungen innerhalb der vorgesehenen Frist (6 Monate bzw 1 Jahr ab Konstituierung).

@= Gesetzliche Mitbestimmung

Eine Alternative zur Verhandlungslösung besteht darin, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmer nach den subsidiären Vorschriften der §§ 232 ff ArbVG erfolgt, wenn

  • das zuständige Organ der beteiligten Gesellschaften und das  besondere Verhandlungsgremium einen darauf gerichteten Beschluss fassen; oder
  • innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme der Verhandlungen keine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zustande kommt.

Die Vorschriften über die Mitbestimmung kommen dann anzuwenden, wenn in mindestens einer der beteiligten Gesellschaften eine Belegschaftsvertretung eingerichtet ist und sich auf mindestens ein Drittel der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstreckt. Wenn in mindestens einer der beteiligten Gesellschaften Mitbestimmung besteht, sich aber auf weniger als ein Drittel der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstreckt, kommen die die einschlägigen Bestimmungen hingegen nur dann zur Anwendung, wenn das besondere Verhandlungsgremium einen entsprechenden Beschluss fasst.

@= Aufgabe des besonderen Verhandlungsgremiums

Für den Fall, dass bei den an der grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten Gesellschaften verschiedene Systeme der Mitbestimmung bestehen, kann das besondere Verhandlungsgremium entscheiden, welches von ihnen in der verschmolzenen Gesellschaft zur Anwendung kommen soll. Fasst das besondere Verhandlungsgremium keinen solchen Beschluss, so ist jene Form der Mitbestimmung anzuwenden, die sich auf die höchste Zahl der in den beteiligten Gesellschaften beschäftigen Arbeitnehmer erstreckt.

@= Abbruch der Verhandlungen durch die Arbeitnehmer

Mit mindestens zwei Drittel seiner Stimmen, die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten vertreten, kann das besondere Verhandlungsgremium auch beschließen, keine Verhandlungen zu eröffnen oder die bereits eröffneten Verhandlungen abzubrechen. In diesem Fall ist auf die aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft § 110 ArbVG anzuwenden.

@= Abbruch der Verhandlungen durch das Geschäftsleitungsorgan

Umgekehrt können auch die zuständigen Leitungs- und Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften beschließen, keine Verhandlungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu führen. Auch in diesem Fall kommen die subsidiären Vorschriften über die Mitbestimmung kraft Gesetzes zur Anwendung, wobei deren Geltung allerdings nicht vom Erreichen eines Schwellenwertes in Bezug auf die Zahl der von Mitbestimmung erfassten Arbeitnehmer abhängig ist.

@= Informationspflicht gegenüber den Arbeitnehmervertretern

Die Arbeitnehmervertreter sind

  • von einem solchen Beschluss unverzüglich zu informieren; und
  • auf die Notwendigkeit der Einsetzung eines „besonderen Entsendungsgremiums“ hinzuweisen.

@= Besonderes Entsendungsgremium

Das besondere Entsendungsgremium ist nach den für dieses geltenden Vorschriften zu errichten. Es hat auch dieselben Aufgaben zu erfüllen, insbesondere über die

  • Verteilung der Sitze im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der verschmolzenen Gesellschaft auf die Arbeitnehmervertreter aus verschiedenen Mitgliedstaaten; sowie
  • Entsendung der österreichischen Mitglieder in den Aufsichts- oder Verwaltungsrat der verschmolzenen Gesellschaft

zu entscheiden.

@= Einberufungsrecht

Das Einberufungsrecht für das besondere Entsendungsgremium ist den Arbeitnehmervertretern eingeräumt. Im Falle mehrerer (sich überkreuzender) Einberufungen ist die desjenigen Mitglieds maßgeblich, welches die größere Zahl an Arbeitnehmern vertritt.

Im Fall von Änderungen in der Struktur der durch die grenzüberschreitenden Verschmelzung untergehenden Gesellschaft oder Änderungen in ihrer Arbeitnehmerzahl, die zu einer anderen Verteilung der Sitze im Aufsichts- oder Verwaltungsrat der Gesellschaft führen würden, hat das besondere Entsendungsgremium einen neuerlichen Verteilungs- bzw Entsendungsbeschluss zu fassen.