
Grenzüberschreitende Verschmelzung – Arbeitnehmerbestimmung Teil 1.
@= Wechsel des Personalstatuts
Da an der grenzüberschreitenden Verschmelzung Gesellschaften mit verschiedenen Personalstatuten beteiligt sind und die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft nur einem Personalstatut unterliegen kann, führt diese Maßnahme für die Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer zu einem Wechsel des anwendbaren Gesellschaftsrechts.
16.1. Grundsätzliches
Für die Interessen der Arbeitnehmer ist das anwendbare Gesellschaftsrecht insoweit relevant, als die Regeln über die gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung direkt am jeweiligen Personalstatut anknüpfen: Während es für die betriebliche Mitbestimmung (insbesondere die Regelung der Belegschaftsorganisation, Aufgaben und Befugnisse der Belegschaftsorgane sowie für das Betriebsvereinbarungsrecht) auf die Lage des Betriebes ankommt, unterliegt die gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung – aus österreichischer Sicht die Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat (§ 110 ArbVG) – dem Personalstatut derjenigen Gesellschaft, deren Organe davon betroffen sind.
Durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung wird somit das Schicksal der gesellschaftsrechtlichen Mitbestimmung in den übertragenden Gesellschaften infrage gestellt; dies ist Regelungsgegenstand von Art 16 f der Richtlinie 2005/56/EG. Diese und die darauf beruhende österreichische Umsetzung im Arbeitsverfassungsgesetz gelten allerdings nur für die Importverschmelzung. Für die Exportverschmelzung kommt hingegen die Richtlinienumsetzung des Aufnahmestaates zur Anwendung.
@= Österreichische Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG
Die Richtlinie erfasst nur die gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung, nicht hingegen die betriebliche Mitbestimmung. Unter Mitbestimmung ist die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft entweder durch die Wahrnehmung des Rechts,
- einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen, oder
- die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu empfehlen und/oder abzulehnen.
@= Grundregel: Sitzstaatprinzip
Für die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft gelten gemäß Art 16 Abs 1 Richtlinie 2005/56/EG die Regeln der Arbeitnehmermitbestimmung jenes Mitgliedstaates, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat (§ 258 Abs 3 ArbVG). Von diesem Grundsatz bestehen die drei nachfolgenden Ausnahmen, die zur Anwendung der so genannten Verhandlungslösung führen. Scheitert diese oder werden Verhandlungen nicht eingeleitet, gelangen Auffangregelungen zur Anwendung. Bei Anwendung des Sitzstaatprinzips in Österreich (im Falle einer Importverschmelzung) gilt somit § 110 ArbVG gleich wie bei jeder anderen inländischen Aktiengesellschaft oder GmbH.
@= Ausnahmen
Von der vorangeführten Grundregel bestehen nachfolgende Ausnahmen:
- Eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften beschäftigt sechs Monate vor der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer und es besteht in dieser Gesellschaft ein System der gesellschaftsrechtlichen Arbeitnehmermitbestimmung (Art 16 Abs 2 erster Teilsatz Richtlinie 2005/56/EG, § 258 Abs 1 Z 1 ArbVG). Unter gesellschaftsrechtlicher Mitbestimmung ist das Recht der Arbeitnehmer zu verstehen, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen. Die beiden Voraussetzungen müssen in ein und derselben Gesellschaft erfüllt sein; sie können jedoch auch die aufnehmende Körperschaft betreffen.
- Das Recht der übernehmenden Gesellschaft sieht nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor, wie er in den (übrigen) an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften bestand.
- Das Recht der übernehmenden Gesellschaft gewährt Arbeitnehmern, die in Betrieben der Gesellschaft außerhalb des Sitzstaates tätig sind, nicht den gleichen Anspruch auf Ausübung von Mitbestimmungsrechten wie den im Sitzstaat beschäftigen Arbeitnehmern (Art 16 Abs 2 lit b Richtlinie 2005/56/EG; § 258 Abs 1 Z 3 ArbVG).
Unterliegt die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft als AG oder GmbH österreichischem Recht und ist diese mitbestimmt, ist dieser Tatbestand – sofern überhaupt ein ausländischer Betrieb vorliegt – insoweit erfüllt,
- da die internationale Anknüpfung des ArbVG dem Territorialitätsprinzip folgt und
- daher für Arbeitnehmer im Ausland gelegener Betriebe keine Entsendungsrechte nach § 110 ArbVG bestehen.
Sind hingegen die im Ausland tätigen Arbeitnehmer bloß in einem unselbstständigen Betriebsteil eines in Österreich gelegenen Betriebs tätig, ist – entsprechend dem Territorialitätsprinzip – auch für diese Arbeitnehmer § 110 ArbVG anzuwenden. Der unselbstständige Betriebsteil ist betriebsverfassungsrechtlich ein Bestandteil des österreichischen Betriebes. In diesem Fall ist der Ausnahmetatbestand somit nicht erfüllt und es bleibt bei der Anwendung der Grundregel. Das Gleiche gilt, wenn die ausländische Gesellschaft überhaupt keine Arbeitnehmer beschäftigt oder über keinen Betrieb verfügt. Bei der Exportverschmelzung ist zu prüfen, ob das ausländische Recht Entsendungsrechte für inländische Betriebe vorsieht und dabei den österreichischen Betrieb nicht gegenüber dem ausländischen Betrieb diskriminiert. Unterhält die österreichische Gesellschaft keinen österreichischen Betrieb, ist die vorangeführte Ausnahme nicht anzuwenden.