Die Fortbestehensprognose – eine vielfach unbeachtete Verpflichtung

Wenn man sich vor Augen hält, wie häufig man es mit einer rechnerisch überschuldeten Gesellschaft zu tun hat, so verwundert das stiefmütterliche Dasein der Fortbestehensprognosen umso mehr. Dies, obwohl es sich um die sprichwörtlich letzte Chance handelt, um einen Insolvenzantrag zu vermeiden. Im folgenden Beitrag werden jene Fragen beantwortet, die in der Beratungs- und Bilanzierungspraxis häufig gestellt werden.

1. Was ist eine Fortbestehensprognose?

Eine Fortbestehensprognose ist ein gutachterliches Werturteil im Allgemeinen und in Form einer Sanierungsprüfung im Besonderen, welches für die praktische Anwendung beider Verfahrensschritte der zweistufigen Überschuldungsprüfungsmethode unerlässlich ist. Die Fortbestehensprognose hat im Ergebnis darzulegen, ob das Unternehmen in Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seine geschäftlichen Aktivitäten unter Einhaltung seiner Zahlungsverpflichtungen fortführen kann. 

2. Welche Zielsetzungen sind mit einer Fortbestehensprognose regelmäßig verbunden?

Ziel der Fortbestehensprognose ist jedenfalls die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit oder die Wiederherstellung eines zumindest ausgeglichenen Vermögensstandes.Diese Wiederherstellung des Vermögensstandes als Prognoseziel ist deshalb erforderlich, weil die Fortbestehensprognose sonst zu einer reinen Zahlungsunfähigkeitsprüfung abgewertet werden würde; diesfalls würde auch eine Überschneidung mit dem Insolvenztatbestand Drohende Zahlungsunfähigkeit bestehen.Die Fortbestehensprognose ist das qualitative Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft bzw. über dessen Verwertungsaussichten. 

Es ist zwar nicht unbedingt eine Beseitigung der rechnerischen Überschuldung erforderlich, sehr wohl aber ein nachhaltiger turn around. Unter diesem Begriff ist eine Rückkehr zu positiven Ergebnissen und damit mittelfristig die Möglichkeit zur Beseitigung der vermögensmäßigen Unterdeckung zu verstehen. Zur Ableitung der Fortbe­stehensprognose und zur Minimierung der Gefahr der Fehlprognose hat die Betriebswirtschaftslehre verschiedene Instrumente zur Eingrenzung von Prognoseungenauigkeiten entwickelt. Dabei trägt die Darlegung der Ausgangsdaten, Annahmen und Auswirkungen, auf denen die Prognose beruht, wesentlich zur Einschränkung des Prognoserisikos bei.

3. Was versteht man unter der zweistufigen Überschuldungsprüfung?

Die Überschuldungsprüfung ist durch eine Fortbestehensprognose zu ergänzen, in deren Rahmen mit Hilfe sorgfältiger Analysen von Verlustursachen, eines Finanzierungsplanes sowie der Zukunftsaussichten der Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Zahlungsunfähigkeit und damit der Liquidation der Gesellschaft zu prüfen ist. Die Auswirkungen geplanter Sanierungsmaßnahmen sind in diese Überlegungen einzubeziehen. Das zur Prüfung der rechnerischen Überschuldung hinzutretende Kriterium der Fortbestehensprognose soll weder zu einer Änderung des Beurteilungsmaßstabes „Überschuldung“ noch zu einer Verschleppung der Insolvenzantragspflicht führen. Während des – der Fortbestehensprognose zu Grunde liegenden – Beobachtungszeitraumes muss die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft gesichert sein. Ist demnach die Gesellschaft zahlungsunfähig, so kann es auch keine Fortbestehensprognose geben.

4. Wie sollte eine Fortbestehensprognose aufgebaut werden?

Im Wesentlichen gliedert sich eine Fortbestehensprognose in eine

a. Analyse des Ist-Zustandes des Unternehmens und dessen maßgeblichen
Umfeldes

  • Lagebeurteilung (Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage, gesamtwirtschaftliche Rahmensituation und Branchenentwicklung)
  • Feststellung des Krisenstadiums und Analyse der Krisenursache(n) 

b. Darstellung der Primärprognose (Finanzplan samt Erläuterungen)

c. Darstellung der Sekundärprognose

  • Sanierungs- oder Unternehmenskonzept
  • eine darauf aufbauende integrierte Planung für den Prognosezeitraum
  • Finanzierungsmaßnahmen und allfällige externe Sicherstellungen für Gläubiger
  • Erläuterungen zur Umsetzung und Kontrolle des Sanierungs- oder Unternehmenskonzeptes

d. Prognoseergebnis

5. Was bedeuten die Begriffe Primär- und Sekundärprognose?

In einer Primärprognose ist die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit für einen Zeitraum von etwa sechs bis neun Monaten (bzw. bis zum nächstfolgenden Bilanzstichtages) in Form eines Finanzplanes nachzuweisen. In der Sekundärprognose ist glaubhaft zu bescheinigen, dass durch die dem Konzept zu Grunde liegenden Maßnahmen in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren nicht nur eine Überlebensfähigkeit des gesellschaftlichen Unternehmens gewährleistet ist, sondern auch eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation erwartet werden kann.

6. Wer ist für die Aufstellung einer Fortbestehensprognose verantwortlich?

Die Erstellung einer Fortbestehensprognose fällt unter die Verantwortlichkeit der Geschäftsführung; auf Grund der Organstruktur einer GmbH ist eine gegenteilige Schlussfolgerung nicht denkbar. Eine Ressortverteilung bei dieser Kardinalaufgabe der Geschäftsführung ist in haftungsrechtlicher Hinsicht unwirksam. Die Komplexität der Erstellung einer Fortbestehensprognose und die zu ergreifenden Maßnahmen erfordern insbesondere bei kleinen und mittelständischen GmbHs fachlichen Beistand durch Angehörige der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe. Unterlassen die Geschäftsführer die Beiziehung externer Berater, so verletzen sie ihre der GmbH gegenüber bestehende Sorgfaltspflicht. Jeder Geschäftsführer ist zur Plausibilitätsprüfung einer nicht gänzlich von ihm selbst erstellten Fortbestehensprognose verpflichtet.

7. Wann ist eine Fortbestehensprognose positiv?

Eine positive Fortbestehensprognose ist das Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des gesellschaftlichen Unternehmens in der näheren Zukunft (Primärprognose) und setzt dessen Fortführungsfähigkeit voraus. Der Fortbestand des Unternehmens muss für einen sachkundigen Dritten nachvollziehbar sein. Die Lebensfähigkeit ist an Hand gesicherter Erkenntnisse zu bescheinigen. Für die Erreichung der Prognoseziele ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit – also mehr als 50 % – erforderlich. Im Hinblick auf den Wahrscheinlichkeitsgrad für die Fortbestehensprognosegelten die nachfolgenden Grundsätze:

  • Die Prognose ist ex-ante zu erstellen; aus diesem Grunde ist keine absolute Gewissheit möglich.
  • Realistischerweise kann nur eine sorgfältige Erstellung unter Berücksichtigung des Prognosecharakters verlangt werden.
  • Für eine positive Prognose muss zumindest die überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen.

8. Was macht die Erstellung einer Fortführungsprognose in der Praxis so schwierig?

Da eine positive Fortbestehensprognose zu einer Verneinung des insolvenzrechtlichen Überschuldungstatbestandes führt, sind an deren Werthaltigkeit strenge Anforderungen zu stellen. Diese hohen Anforderungen betreffen insbesondere die Ermittlung der Datenbasis, die Plausibilität der getroffenen Annahmen sowie die Begründung.

9. Erfolgt eine Überprüfung durch das Gericht?

Dem Gericht kommt (auch) die Aufgabe zu, die sachgerechte Anwendung der zweistufigen Überschuldungsprüfung und das Vorliegen einer positiven Fortbestehensprognose zu beurteilen; hierfür ist ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger als Gehilfe des Gerichts heranzuziehen. Trotz des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung wird das Gericht üblicherweise den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens folgen. Bei der gerichtlichen Nachprüfung einer Fortbestehensprognose ist deren Charakter als zukunftsorientierte Betrachtung zum Zeitpunkt ihrer Erstellung im Hinblick auf die methodischen Anforderungen zu beurteilen. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Fortführungsprognose keinesfalls als falsch zu qualifizieren ist, wenn die zu Grunde gelegten Planzahlen während des Beobachtungszeitraums nicht erreicht wurden und es letztendlich doch zu einer Insolvenz gekommen ist. Die Begleitung (Überprüfung) der Expertise durch einen sachverständigen Berater ist jedenfalls geeignet, die Glaubwürdigkeit der Prognose in einem allfälligen späteren gerichtlichen Verfahren zu dokumentieren.

10. Welche Aufgaben kommen im Zusammenhang mit einer Fortbestehensprognose einem Bilanzbuchhalter zu?

Kurz gesagt, keine unmittelbaren … und das ist gut so. Jeder Bilanzersteller ist verpflichtet, seinen Mandanten im Falle eines negativen Eigenkapitals auf die Erläuterungspflicht gemäß § 225 Abs. 1 UGB hinzuweisen (BÖB Journal, 43/10, Seite 51). Die Begründung, warum eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliegt, sollte aus haftungsrechtlichen Erwägungen nicht vom Bilanzbuchhalter, sondern eben von den Geschäftsleitungsorganen erstattet werden. Wenn einem Bilanzbuchhalter der ausdrückliche Auftrag für eine Überschuldungsprüfung erteilt wird, so wird eine besondere Sorgfalt im Sinne des § 1299 ABGB geschuldet. Die Erstellung der Fortbestehensprognose ist Sache der Geschäftsleitungsorgane … und das sollte m. E. auch so bleiben. Wurde die Expertise von einem sachkundigen Dritten erstellt, so bestehen keine Bedenken, wenn der Mandant vom Bilanzbuchhalter bei dessen Plausibilitätsprüfung unterstützt wird.